zur StartseiteZugang für Abonnenten
Startseite » Archiv » Ausgabe 1/2021 » Stichwort
Titelcover der archivierte Ausgabe 1/2021 - klicken Sie für eine größere Ansicht
Den Aufbau eines jeden Heftes
finden Sie hier.
Wir über uns
Unsere Schwerpunkte und Akzente finden Sie hier.
Die Schriftleitung
stellt sich hier vor.
Unsere Autoren
Die Jahresverzeichnisse ab 2010 finden Sie hier.
Ausgaben der letzten Jahre
Die kompletten Ausgaben
im PDF PDF-Format
finden Sie hier.
<<< zur vorherigen Ausgabe zur nächsten Ausgabe >>>
Stichwort DOI: 10.14623/wua.2021.1.2-5
Myriam Wijlens
Mitverantwortung für die Sendung der Kirche
„Ich habe den Diözesanpastoralrat abgeschafft, denn das war mir zu lästig“, sagte der kanadische Bischof und schaute mich ein wenig provozierend an. „Spenden Sie das Sakrament der Firmung?“, fragte ich. „Ja, sicher, das macht mir richtig Spaß. Da sind viele junge Leute, das begeistert mich immer.“ „Und was spenden Sie denn da?“ „Na ja, den Heiligen Geist.“ Ich sah ihn an: „Oh, das ist ja schön. Wirkt dieser auch in und durch die Gläubigen? Wie kommt er Ihrem Bistum zugute?“ Er schaute mich ein wenig perplex an und meinte: „Woher soll ich wissen, ob und wie er wirkt?“ „Na ja,“ sagte ich, „da gäbe es zum Beispiel den Diözesanpastoralrat, in dem Sie das erfahren könnten.“

Partizipation, Repräsentanz, Synodalität, Transparenz, Rechenschaft, Verantwortung sowie Berücksichtigung von Abstimmungsergebnissen, Mehrheiten und Konsens sind die Stichwörter, die derzeit in vielen Diskursen in der Kirche zu hören sind.1 Aus verschiedenen Perspektiven in der ganzen Welt hört man den Aufruf nach einer geänderten Kultur und einer damit verbundenen Struktur der Entscheidungsfindung in der katholischen Kirche. Die Studien bezüglich sexuellem Missbrauch von Minderjährigen, die in verschiedenen Ländern entweder staatlich angeordnet oder von der Kirche in Auftrag gegeben wurden, zeigen, dass es nicht nur zu sexuellem Missbrauch durch Kleriker in einem ungeahnten Ausmaß gekommen ist, sondern dass vor allem die Kirchenleitungen im Umgang mit Hinweisen auf Missbrauch ernsthaft versagt haben. In den Reaktionen und Aufforderungen nach Änderungen fallen Stichwörter wie Machtmissbrauch und Klerikalismus, verbunden mit dem Aufruf, Strukturen zu schaffen, die – manchmal versehen mit dem Schlagwort „Demokratie“ – im Grunde mehr Partizipation ermöglichen und eine Kultur entwickeln, in der Transparenz, Verantwortung und Rechenschaft wichtige Komponenten im Selbstverständnis und im Leben der Kirche werden. Während der sexuelle Missbrauch ein Anlass war und ist, die bestehenden Strukturen unter die Lupe zu nehmen, ist es jedoch das kirchliche Selbstverständnis selbst, das die Frage nach der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) geänderten Sichtweise auf die Mitverantwortung aller Gläubigen für die Sendung und das Leben der Kirche nach sich zieht. Wo steht die Kirche in der Umsetzung der konziliaren Gedanken, damit diese gelebte Realität wird? Bemerkenswert ist, dass die Kirche mit dem Konzil bereits die theologischen Grundlagen für die geforderten Änderungen erarbeitet hat, es aber in der Rezeption – sowohl in den Rechtsstrukturen als auch in der Mentalität, diese anzuwenden und weiterzudenken – hakt.

Das Volk Gottes und die Hierarchie

Ein tiefer Grund für die bisher unzureichende Umsetzung liegt im Erneuerungsprozess des Konzils selbst. In der Kirche und insbesondere auf einem Konzil geht es, im Gegensatz zur Gesellschaft, primär darum, nicht nur festzuhalten, was sie denkt, sondern vor allem, was die Kirche als solche glaubt. Deswegen ist auch der Glaubenssinn aller Gläubigen entscheidend (Lumen gentium 12), und ein Konzil zielt – sowie andere Formen der Synodalität – auch nicht, wie beispielsweise ein Parlament, auf Mehrheitsbeschlüsse, sondern auf Konsens hin. Das impliziert, dass die Teilnehmer eines Konzils den Glauben der Kirche in den Konzilstexten erkennen müssen, damit sie diese bejahen können. Dazu gehört anzuerkennen, dass nicht allem, was in Konzilstexten steht, gleiches Gewicht beigemessen werden soll (Hierarchie der Wahrheiten), und dass zwischen dem Glaubensinhalt und der Ausdrucksform zu unterscheiden ist.

Das wiederum hat zur Folge, dass die Erneuerung auf einem Konzil vielfach über sogenannte Juxtapositionen erarbeitet wurde: Neue Gedanken wurden als Hauptsätze oder als ganze Kapitel eingeführt, aber das bereits Bekannte wurde als Nebensatz oder sogar als Kapitel einfach beibehalten. Im Bereich der Ekklesiologie ist genau dies passiert. Das Erste Vatikanische Konzil hatte 1870/1871 den Primat und die Unfehlbarkeit des Papstes bestätigt, jedoch die Implikationen für das Bischofsamt bzw. das Bischofskollegium nicht mehr erörtert. Deswegen stand es als Aufgabe auf der Agenda des II. Vatikanums. Es wurde im Kapitel über die Hierarchie der Kirchenkonstitution ausgearbeitet, blieb aber auf der Ebene der Verhältnisbestimmung zwischen Papst und Bischöfen bzw. Bischofskollegium. Es folgten Kapitel über Laien und Ordensangehörige. Entscheidend ist jedoch, dass das Konzil sehr bewusst entschied, vor dem Kapitel über die Hierarchie ein neues Kapitel einzufügen, in dem zum Ausdruck gebracht werden sollte, was alle gemein haben, bevor anschließend differenziert wurde. Es trägt den Titel „Volk Gottes“. Leider wurde weder das Kapitel über die Hierarchie daraufhin überarbeitet, noch die Interpretation dieses Kapitels durch die Einfügung des Kapitels „Volk Gottes“ nachhaltig beeinflusst.

Ein Bespiel ist die römische Synode für Bischöfe: Sie wurde als Institution errichtet, damit die neue Lehre der Kollegialität der Bischöfe in Verbindung mit dem Papstamt praktiziert wird. Die Institution wurde nicht vor dem Hintergrund der Lehre, welche im Kapitel über das „Volk Gottes“ zum Ausdruck gebracht wird, konzipiert. Hinzukommt, dass das Kapitel über die Hierarchie die Bischöfe eher in Beziehung zum Papst und Bischofskollegium als zur Ortskirche betrachtet.

Synodalität ist konstitutiv für Kirche

Papst Franziskus hob 2015 in einer Ansprache anlässlich des 50. Jahrestages der Errichtung der Bischofssynode die Juxtaposition auf, als er über eine synodale Kirche sprach. Er änderte nicht die Lehre des Konzils, sondern nahm gemäß der Intention des Konzils den Inhalt des Kapitels über das „Volk Gottes“ als Linse für die Interpretation des darauffolgenden Kapitels über die Hierarchie bewusst auf. Dadurch stehen die verschiedenen Lehren nicht mehr nebeneinander, sondern werden gemäß der Intention des Konzils in Beziehung zueinander gesetzt. Der Papst reflektierte nicht aus der Perspektive der Hierarchie bzw. des Lehramtes, sondern setzte bei der konziliaren Betonung an, dass die Kirche, d. h. das Volk Gottes, aus allen Getauften gebildet ist und deswegen die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung mit dem Heiligen Geist empfangen haben, im Glauben nicht irren kann. Diese Eigenschaft macht sich dann kund, wenn sie „von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert“ (Lumen gentium 12).

Das Konzil bestätigte, dass die Unfehlbarkeit der Kirche im Glauben (in credendo) der Unfehlbarkeit des Lehramtes vorausgeht. Die Unfehlbarkeit der Kirche ist also nicht Folge der Unfehlbarkeit des Lehramtes, sondern letztere setzt erstere voraus. Da jede*r Getaufte aktive*r Träger*in der Evangelisierung ist, verbietet der Glaubenssinn (sensus fidei), dass zwischen einer lehrenden und einer lernenden Kirche (ecclesia docens et discens) starr unterschieden wird, denn, so der Papst, „auch die Herde [besitzt] einen eigenen ‚Spürsinn‘, um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschließt.“2 Aus diesem Grund gilt es, geleitet auf den Heiligen Geist zu hören: Das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom hören sich wechselseitig zu, um zu erkennen, was der „Geist der Wahrheit“ den Kirchen sagt. Der Bischof von Rom ist berufen, nicht von seinen persönlichen Überzeugungen auszugehen, sondern als oberster Zeuge des Glaubens der Gesamtkirche (fides totius Eccelsiae) zu sprechen und Garant für die Einheit der Vielfalt von Bischöfen und anderen Gläubigen zu sein.

Der Papst verwies auf das Prinzip „[q]uod omnes tangit ab omnibus tractari debet – [w]as alle angeht, muss von allen besprochen werden.“3 Zentral ist das Zusammengehen (synodos), geprägt von einem Zuhören. Die Konsequenz wird in der Aussage klar: „Die Synodalität als konstitutive Dimension der Kirche bietet uns den geeignetsten Interpretationsrahmen für das Verständnis des hierarchischen Dienstes selbst.“4 Kirche und Synodalität sind Synonyme.

Jedoch impliziert Synodalität das ganze Volk Gottes und ist nicht nur die Ausübungsform der Kollegialität der Bischöfe. Sie muss auf allen Ebenen der Kirche gelebt werden. Dazu sind für den jeweiligen Kulturraum geeignete Strukturen erforderlich, die dies fordern und fördern. Manche sind bereits vorhanden: Plenar- und Partikularkonzilien, Bistumssynoden, Diözesanpastoralräte, Priesterräte, Pfarrgemeinderäte. Obwohl die bestehenden Institutionen nicht perfekt sind und sicherlich auch verbessert werden können, besteht dennoch die größte Herausforderung darin, dass die Anwender des Rechtes diese Institutionen gemäß der oben genannten Sichtweise zu einer gelebten Realität von Synodalität werden lassen müssen. Erforderlich ist vor allem ein Umdenken in den Bistumsleitungen, indem anerkannt wird, dass es eben nicht um mehr „Demokratie“ in der Kirche geht, sondern um eine zutiefst theologische Realität: Die Taufe impliziert eine Mitverantwortung für die Sendung der Kirche und der Heilige Geist wirkt im gesamten Volk Gottes. Das Wirken des Heiligen Geistes auf die Geweihten zu beschränken, entspricht nicht dem II. Vatikanum.

Eine neue Sichtweise


Derzeit ist das größte Hindernis nicht das Recht, sondern die beschränkte Sichtweise in der Anwendung des Rechtes. Wer die tieferen Grundlagen verinnerlicht hat, wird die Gremien zu den relevanten Themen einbeziehen, nicht weil es rechtlich erforderlich ist, sondern weil man einsieht, theologisch gesehen nicht auf ein gemeinsames Ringen in der Suche nach den richtigen Antworten auf konkrete Fragestellungen verzichten zu können.

Der eingangs erwähnte Bischof hat nach unserem Gespräch den Diözesanpastoralrat erneut ins Leben gerufen. Zwölf Jahre später berichtete er, dass dies seinem Bistum zugutegekommen sei. Andere Gläubige bringen Fähigkeiten und Kompetenzen ein, die er selbst nicht hat. Anlässlich des Verfassens des Ad limina-Berichtes werden gemeinsam die Tätigkeiten des ganzen Bistums evaluiert und ein Zukunftsplan erstellt. Zusammen bereiten sie eine Diözesansynode vor. Menschen wissen sich mitverantwortlich für die Sendung der Kirche.

Anmerkungen
01 Siehe hierzu auch M. Wijlens, Reform durch ein Reset der konziliaren Hermeneutik. Kollegialität– Synodalität – Sensus Fidei, in: B. Oberdorfer/O. Schuegraf (Hrsg.), Reform im Katholizismus. Traditionstreue und Veränderung in der römisch-katholischen Theologie und Kirche (Beihefte zur Ökumenischen Rundschau Bd. 119), Leipzig 2018, 363–391.
02 Papst Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode, Vatikan, 17.10.2015; www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151017_50-anniversario-sinodo.html [Aufruf: 10.1.2021].
03 Ebd.
04 Ebd. [Hervorhebung im Text].

Zurück zur Startseite
Unsere Abos
Sie haben die Wahl ...
weitere Infos zu unseren Abonnements
Infos für unsere Autor/-innen
finden Sie hier.
Die Presse über uns
Meinungen
Anzeigen
Mit Anzeigen und Inseraten erreichen Sie Ihre Zielgruppe. Anzeige aufgeben

Unsere neue Dienstleistung für Verlage, die Ihr Abogeschäft in gute Hände geben wollen.


aboservice

mehr
Informationen


Wort und Antwort
Telefon: +49 (0)711 / 44 06-140 · Fax: +49 (0)711 / 44 06-138
Senefelderstraße 12 · D-73760 Ostfildern
Kontakt | AGB | Datenschutz | Impressum