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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2017.2.50-56
Klaus-Bernward Springer
Dominikanische Reform und protestantische Reformation
Reformation bezeichnete im Spätmittelalter die grundlegende kirchliche Erneuerung durch den konstruktiven Rückgriff auf die normative Botschaft Jesu. Das war auch das Anliegen des reformierten Augustiner-Eremiten Luther. Seine Reformation wurde wegen der Deformation der „Papstkirche“ für viele eine neue und kirchentrennende Norm. Für die Dominikaner war ihre Krisenbewältigung im 13. Jahrhundert normativ. Im Rückgriff auf sie wie auf die evangelische Norm wollten die Predigerbrüder die „evangelische“ Verkündigung des Wortes wieder bzw. richtiger zur Geltung bringen und innerhalb der deformierten Kirche auch gegen die Kirchen der Reformation reformieren. Ordens- und Kirchenreform wie Reformation wurzeln in der Notwendigkeit, adäquat Transformationsprozesse zu bewältigen. Sie unterscheiden sich in der Sicht, ob das Christentum in der „alten Kirche“ fortsetzbar oder ein „Neustart“ nötig war. Beide Sichtweisen sahen die jeweils andere als nicht kompatibel an.

Ordensreform gelingt besser als Kirchenreform


Jesu Gemeinschaft ist zu kontinuierlicher Umkehr und Reform aufgerufen. Im Predigerorden gab z. B. das Generalkapitel 1300 den Auftrag zur Reformation der Ordensprovinz „Teutonia“. Schon vor dem Konstanzer Konzil begann der Predigerorden der römischen Obödienz 1388 mit der Reform der vom Chronisten Johannes Meyer als Reformacio bezeichneten Observanz(bewegung). Während in der Gesamtkirche das V. Laterankonzil 1512–17 vor allem gegen das Konzil von Pisa 1512/13 gerichtet war und Dekrete nur halbherzig umgesetzt wurden, erlangten in der „Teutonia“ die Reformer schon 1475 die Mehrheit; die oberdeutsche Konventualenkongregation wurde 1518 bis 1520 unterdrückt. Die sächsische Ordensprovinz wurde 1517 observant durch Mäßigung der Anforderungen für die Konventualen. Observante wie konventuale Dominikanerkonvente blühten, es gab viele Ordenseintritte und Stiftungen. Die Reformation traf auf einen durch Reform erneuerten Predigerorden. Die observante Ordensreformation war attraktiv, doch er wies sich die am 31. Oktober 1517 mit Schreiben an die zuständige kirchliche Behörde ausgelöste Reformation nach kürzester Zeit als attraktiver.

Gescheiterter Erfolg?

Die Ordensreform war von „Regierenden“ meist gern gesehen, brachte sie doch größeren Einfluss. Sie wurde öfters mit Gewalt gegen Reformunwillige durchgesetzt und war retrospektiv die „Generalprobe“ der Reformation. Obrigkeiten nutzten die reformierten Bettelorden zur Sozialdisziplinierung der Bevölkerung. Die Observanten einschließlich der großen Prediger Vinzenz Ferrer OP und Girolamo Savonarola OP predigten und lebten ein vorbildliches christliches Leben, wollten Buße und Reform, missbilligten Luxus, Spiel und Alkohol, betonten Askese, Gehorsam, Genügsamkeit und weitere Werte. Dies sollte praktisch werden und Städte und Territorien als „Christenheit en miniature“ befördern.

Die Ziele der Observanz fanden Resonanz, standen aber letztlich gegen die „Zeichen der Zeit“. Die Intensivierung von Armut und Bettel war nicht mehr von einer Armutsbewegung getragen, sondern traf auf obrigkeitliche „Bettelordnungen“ und die Reglementierung von Armut. Wie „profanen“ Armen wurde den Mendikanten im 15. Jahrhundert zunehmend Faulheit und Geldgier vorgeworfen. Demgegenüber war die observante Intensivierung des Bettels wie des armen Lebens inklusive der Abschaffung von Privateigentum wenig hilfreich. Die dominikanische Erneuerung im Studienwesen führte zur Profilierung des Thomismus, galt aber vielen in Deutschland nicht als Alternative zum Humanismus, sondern als spitzfindige Scholastik. Die observante Betonung des Gemeinschaftslebens, etwa bei Gebet und Mahlzeiten, traf auf eine Gemeindetheologie, die die Einheit von politischer und kirchlicher Gemeinde propagierte und als Folge die Reduzierung bzw. Abschaffung von außergemeindlichen Strukturen wie Wallfahrten, Bruderschaften und den mit den Pfarrgemeinden konkurrierenden Bettelorden forderte. Das observante Ideal war nicht falsch, doch wandelte sich die öffentliche Einstellung dazu. Eine neue Zeit brach in der Gläubigkeit des Volkes Gottes an.

Der Predigerorden geriet zudem auf seinem ureigensten Feld der Verkündigung gegenüber den universitär ausgebildeten Prädikanten aus dem Weltklerus allmählich ins Hintertreffen. Gleiches galt für die dominikanische systematische Durchdringung des biblischen Literalsinnes gegenüber den rein sprachwissenschaftlichen Methoden humanistischer Bibelauslegung. Sie bezog sich nur auf den Text und verzichtete auf Exempla, Heiligenviten und die Darstellung scholastischer Probleme. Dieser „linguistic turn“ hatte gravierende Folgen: Lorenzo Valla entdeckte nicht nur die Fälschung der „Konstantinischen Schenkung“, sondern auch, dass die von Jesus gepredigte Umkehr (metanoia) laut Bibel einen kontinuierlichen Sinneswandel bedeute und keine punktuelle Praxis (poenitentiam agere). Ähnlich begann Luther seine 95 Thesen: „1. Als unser Herr und Meister Jesus Christus sprach: ‚Tut Buße‘ usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei. 2. Dieses Wort kann nicht im Sinne der sakramentalen Buße verstanden werden … 3. Dennoch meint es nicht allein die innere Buße; vielmehr ist die innere Buße nichts, wenn sie nicht äußerlich vielerlei Abtötungen des Fleisches bewirkt.“ Kritisiert wurde die Haltung von Buße (Askese, Fasten etc.) als „Werk“, von Gehorsam als zu erbringender Leistung. Dies entzog der damaligen Laienfrömmigkeit, die die Werke betonte, die Basis; im geistlichen Bereich konnte laut Luther aufgrund von Taufe und allgemeinem Priestertum jede und jeder das tun, was stellvertretend die Orden taten: viele Ordensleute sahen ihren Klostereintritt als Fehler an und traten aus. [...]


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