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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2020.2.50-53
Joanna Jimin Lee
Wie ticken junge Katholik*innen in Österreich?
Obwohl die katholische Kirche auch in Österreich stetig Mitglieder verliert, kann sie sich an den religiösen Bewegungen junger Katholik*innen erfreuen.1 Im Gesamtkontext jedoch dürften diese aktiven Gruppierungen eine kleine Minderheit bilden: Zwischen 2014–2016 bezeichneten sich 44 % der jungen Österreicher*innen (16–29 Jahre) selber als katholisch. Davon gaben 3 % an, wöchentlich oder öfter an Gottesdiensten teilzunehmen, 17 % davon aber praktisch nie.2 Anhand der folgenden Porträts versuche ich, die Themen junger Katholik*innen in Österreich und ihr Verhalten gegenüber der Kirche exemplarisch wiederzugeben. Die Personenbeschreibungen sind fiktiv zusammengestellt, beruhen jedoch auf reale Begebenheiten.

Befremdet, distanziert, (scheinbar) gleichgültig

Markus kommt aus einer kleinen Stadt und studiert Musik in Wien. Seine Schulzeit verbrachte er als Sängerknabe eines bekannten Stiftes im Klosterinternat. So ist ihm alles Katholische wohl vertraut – zumindest bis zu jenem Weltjugendtag: Da kommt er durch eine Bekannte zu einer besonderen Veranstaltung. Es ist ausgesprochen nett und froh, auch ästhetisch einladend. Vor allem die konzertreif angeleiteten Lobpreislieder sprechen Markus an. Dann aber kommt es zur Katechese mit dem Inhalt – für Markus eindeutig ‚antiquierte‘ Sexualmoral. Zur verstörenden Erinnerung wird ihm das darauffolgende Ritual, als sie alle ‚eingeladen‘ werden, vor allen Augen ein Versprechen der vorehelichen Jungfräulichkeit abzulegen. Seit dieser Erfahrung kommt ihm die katholische Kirche um einiges weltfremder vor. Der Kontrast zwischen dem ansprechenden Ersteindruck und dem ‚manipulativen‘ Moralzwang war groß. Seitdem meidet er kirchliche Mainstream-Jugendveranstaltungen. Er fühlt sich nach wie vor als Katholik und verfolgt die Geschehnisse medial. Aber etwas Relevantes für sein Leben erwartet er derzeit nicht von der Kirche. Nach dem Auftritt bei einem Studierendenkonzert der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) bleibt er jedoch bei einem Glas Wein sitzen. Nachdem er seine Geschichte erzählt hat, wird er von der Seelsorgerin gefragt: Wer ist aber Jesus für dich? Er fühlt sich konfrontiert und erneut ‚missioniert‘, findet es gleichzeitig fast ein bisschen interessant, nach langer Zeit mal wieder über Glauben zu reden.

Begeistert, entschieden, traditionstreu

Anna kommt auch aus der Provinz und ist schon bald fertig mit ihrem Wirtschaftsstudium. Ihre Liebe zur Musik kann sie zur Ehre Gottes einsetzen – bei Worships und Gottesdiensten der KHG. Schon als Kind fing sie an, in der Kirche zu musizieren. Jetzt nimmt sie sich trotz ihres dichten Stundenplans auch wochentags Zeit für die KHG-Messe. Einen fruchtbareren Boden für spirituelles Wachstum kann sie sich kaum vorstellen. Die Priester sind so bemüht um die Seelsorge und haben extra junge Missionare aus den USA engagiert: Für Bible Study, Einkehrtage, Partys und vieles mehr. Die treue Liebe zur katholischen Tradition wird hier vorgelebt – was in Annas ländlicher Heimat schon rar geworden ist. Nicht einmal die Generation ihrer Großeltern kniet sich bei der Wandlung hin, so dass sie sich beim Heimatbesuch kaum traut, es als Einzige zu tun. Mittlerweile ist Anna überzeugt, dass diese an den ‚Zeitgeist‘ angepasste Haltung für den Glaubensschwund verantwortlich ist. Denn bei der KHG Wien treffen sich junge Menschen aus allen Himmelsrichtungen, obwohl so klare Worte über heikle Themen wie Abtreibung, Homosexualität, Genderideologie usw. gesprochen werden. Da erlebt sie einen soliden Katholizismus und die echte Anbetung des Herrn. Außerdem findet sie hier Freunde fürs Leben, die doch alle mehr oder weniger dieselben Fragen haben: Wer bin ich? Was will ich in meinem Leben und wie gelingt das? Gehe ich eine Partnerschaft ein, die mir ein neues Zuhause geben kann? Am liebsten hätte Anna eine nachhaltige Beziehung aus dem kirchlichen Kreis. Denn obwohl sie das gottgeweihte Leben hochschätzt, findet sie die Berufung zu einer christlichen Familie heutzutage kostbarer denn je.

Eigenverantwortlich, pragmatisch, reflektiert

Dank häufiger Diskussionen mit seinen Eltern, die beide Religion unterrichten, gilt Felix in seinem Umfeld als ein halber Theologe, auch wenn er etwas ganz anderes macht: PR-Management. Er hat gerade sein Studium absolviert und sucht nach einem besseren Arbeitgeber als dem, bei dem er seit zwei Jahren jobbt. Rein aus Interesse schaut er sich auch Stellenangebote kirchlicher Institutionen an. Doch ernsthaft träumt er nicht mehr davon – die Kirche scheint ihm entweder zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder heillos eingebildet. Lieber engagiert er sich ehrenamtlich für eine NGO, die zwar mit der Kirche nichts am Hut hat, aber für Felix einen hohen christlichen Wert verfolgt: Bewahrung der Schöpfung. Er ist nämlich in der franziskanischen Spiritualität groß geworden; als er klein war, verbrachte seine Familie oft ihre Freizeit in einem Projektzentrum der Franziskaner. Zu dieser spezifischen Gemeinschaft fühlt er sich allerdings längst nicht mehr zugehörig. Vielmehr empfindet er die große Wahlmöglichkeit der modernen Gesellschaft – ansonsten oft eine Qual – in spiritueller Hinsicht absolut als Segen. Ohne sich einer Gruppierung fix zuzuschreiben, holt man sich entsprechend der eigenen Lebenslage gerade das, was einem hilft. Felix fühlt sich befähigt, eigene Erfahrungen zu machen und dazu zu stehen – auch vor Gott.

Engagiert, authentisch, ausgewandert

Von der Selbstverantwortung kann auch Mariella ein Lied singen. Schließlich trat sie vor ein paar Jahren zur Altkatholischen Kirche über – nach gründlichen Überlegungen gemeinsam mit ihrer Partnerin. Zuvor verlief ihre kirchliche Biographie ziemlich klassisch. Angefangen von Krippenspiel und Sternsingen diente sie all die Jahre leidenschaftlich gern als Ministrantin (= Messdienerin). Die Pfarrgemeinde war für sie wie ein erweitertes Zuhause. Es machte ihr Freude, als Jugendliche Verantwortung für Jüngere zu übernehmen. Doch dann kam sie zur Einsicht über ihre sexuelle Orientierung. Wenn Mariella es nicht zum Thema gemacht hätte, wäre sie sicher ein unverzichtbares Mitglied der Gemeinde geblieben. Doch die Position der römisch-katholischen Kirche ist allzu bekannt: Mit dieser ‚unglückseligen‘ sexuellen Neigung soll sie für immer zölibatär leben. Diese Verurteilung im Namen Gottes konnte sie nicht gelten lassen – an so einen Gott glaubt sie nicht. Außerdem sind ihre innigen Erinnerungen an den Altarraum Indizien dafür, dass sie Gott und den Menschen als Priesterin dienen soll. So studiert sie Theologie und ihre Gemeinde rechnet mit ihrer Ordination. Die synodale Struktur ihrer neuen Kirche erlebt sie als Ermächtigung und Befreiung. Doch ab und zu meldet sich im Stillen ein bisschen Heimweh nach der römisch-katholischen Kirche …

Kritische Anfragen an die Seelsorge

Immer mehr junge Österreicher*innen werden nicht als Kind getauft. Hie und da kommt es zu einer signifikanten Konversionserfahrung im Erwachsenenalter, worüber man gern berichtet. Doch wer fragt bei ‚Dekonversion‘ nach, also wenn junge Menschen der Kirche den Rücken kehren?3 Warum scheint die Schere zwischen Aktiven und Distanzierten immer weiter auseinanderzugehen?

Junge Menschen suchen Halt und Orientierung, wollen Glaubensinhalte verstehen und Lehrmeinungen folgen – wenn sie nicht davon abschreckt sind. Vor allem suchen sie aber Gemeinschaft; ein Zugehörigkeitsgefühl, was für diese Altersphase essenziell ist. Lebensrelevante Themen als pastorales Programm bringen junge Erwachsene zusammen: Studium, berufliches Fortkommen, Freizeit, Freundschaft, Partnerschaft etc.

An so einem lebensgemeinschaftlichen Glaubensort wächst aber auch die Bereitschaft, vorgegebene Formen, Werte und Denkweisen anzunehmen – man will „in guter Gesellschaft“ sein. Verstärkt durch den Glauben der Gemeinschaft entscheiden sie sich für „mehr“ und wollen missionarisch sein.4 Wenn die Seelsorge dabei eine Haltung der mündigen Eigenreflexion und ehrlichen Diskussion nicht ausdrücklich fördert, kann sich leicht eine Kader-Mentalität bilden. So ein kollektives spirituelles Überlegenheitsgefühl bringt weder für die Umgebung noch für sich selbst nachhaltigen Nutzen.

Die medial bekanntgewordene „Heldentat“ eines Wiener Aktivisten während der Amazonas-Synode5 war ein Höhepunkt des proselytischen Radikalismus, jener fundamentalistischen Züge, die sich subtil im Namen des getreuen Katholizismus bei jungen Menschen verbreiten lassen – weil sie Vorbilder suchen. Die augenscheinlich zunehmenden evangelikalen Tendenzen, die mitunter als pastorale Heilmittel lobpreisend eingesetzt werden, sollte man deshalb im Hinblick auf eine längerfristige, gesamtgesellschaftliche Auswirkung überprüfen. Welches Verständnis vom Christsein eignen sich da junge Katholik*innen eigentlich an? Die Kirche sollte sich mehr um Begleitung der jungen Menschen bemühen, damit sie die „Kunst der Unterscheidung“ lernen und mündig werden.6 Manipulative oder rechtspopulistische Gruppendynamik soll man meiden – ihre Frucht ist nicht tragfähig, selbst wenn die Zahlen beeindrucken. Ein überbetonter Gehorsam gegenüber Obrigkeiten und Vorschriften sollte kirchliche Entscheidungsträger im Licht der jesuanischen Evangelisierung auch mal skeptisch machen – Jesus ging es in seiner Sendung nicht primär um seine Schüler und Unterstützerinnen, sondern vielmehr um sozial-moralisch Ausgegrenzte, um Gottes Sehnsucht nach jedem Menschen.



01 Vgl. Veröffentlichung vom 15.1.2020 auf www.katholisch.at/statistik und „Wechsel der Religionszugehörigkeit seit 2001“ der Statistik Austria
02 S. Bullivant, Europe’s Young Adults and Religion, 2018, in: https://www.stmarys.ac.uk/research/centres/benedict-xvi/europes-young-adults-and-religion. aspx (Abrufdatum: 2.2.2020)
03 Zu diesem Thema: T. Faix/M. Hofmann/T. Künkler, Warum ich nicht mehr glaube. Wenn junge Erwachsene den Glauben verlieren, Witten 2014.
04 Das Mission Manifest, ausgerufen auf der MEHR-Konferenz 2018 in Augsburg, ist ein Beispiel dafür. Auch ein wichtiges Wort von Johannes Hartl, Leiter des dortigen Gebetshauses und eines der Herausgeber des gleichnamigen Buchs, ist „Entscheidung“; dazu S. 154 f.
05 Vgl. ‚Österreicher stahl Indigenenstatue aus Kirche in Rom‘. https://religion.orf.at/stories/ 2993896
06 Vgl. Schlussdokument der Jugendsynode 2018, Kap. III „Der Auftrag zu begleiten“.

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