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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2016.3.98-101
Thomas Eggensperger
Freizeit im Wandel
Der theologische Diskurs über die Freizeit ist kein neuzeitlicher, vielmehr hat er eine lange Tradition. Zuvor hat sich die antike Philosophie immer wieder mit der „acedia“ resp. dem „otium“ (dt. Muße) und dem rechten Umgang mit ihr auseinandergesetzt. Zumeist haftet ihr eine negative Konnotation an, sei es, dass sie kirchlich zur Todsünde erklärt würde, sei es, dass sie im positiven Sinne anthropologisch in einen Sinnzusammenhang gestellt würde. Heute stehen sich Freizeit und Tourismus – quasi als Gestaltungsebenen der freien Zeit – gegenüber, aber es gibt auch das Wechselverhältnis von Freizeit und – quasi als misslungene Gestaltung eben dieser – Langeweile. Dabei ist noch nicht einmal gesichert, dass die Behebung der Langeweile am Ende wirklich sinnvoll ist, führt doch die ewige Flucht vor Langeweile geradewegs in sie hinein. Nicht umsonst zeigen Psychologen auf, dass der Langeweile durchaus etwas Gewinnendes eignet.

Von der Herrlichkeit zur Freizeit

Es ist der italienische Philosoph Giorgio Agamben, der in ganz anderem Zusammenhang auf die theologische Relevanz der Freizeit hingewiesen hat. In seiner „Archäologie der Herrlichkeit“ skizziert er zunächst die „doxa“ (dt. Herrlichkeit), in biblischer und historischer Einordnung. So ist der Begriff nicht so sehr ein ästhetischer als vielmehr ein politischer. Gottes Herrlichkeit wirkt einerseits für sich, andererseits aber ist die Ver-Herrlichung Gottes eine Aufgabe des Menschen. Das Johannesevangelium ist voll von Passagen, die nichts Anderes als eine Verherrlichung Gottes durch seinen Sohn Jesus darstellen. Paulus betont dagegen in seinen Briefen nicht die gegenseitige Verherrlichung von Vater und Sohn, sondern die Ausstrahlung der Herrlichkeit vom Vater über den Sohn auf die Mitglieder der Gemeinschaft bzw. Gemeinde.

Die Kirche weiß diese Herrlichkeit in der Liturgie zu ritualisieren. Die Verherrlichung durch die Gemeinde oder durch den Einzelnen ist einfach Danksagen, Loben und Preisen – in der Hl. Messe gibt es im Ablauf eine Reihe von verherrlichenden Momenten, z. B. zentrale Doxologien im Gloria, im Sanctus, aber auch im Te Deum oder im bestätigenden Amen etc. Das Ritual ist nicht originär, sondern hat seinen Ursprung im Politischen, u. a. im römischen Kaiserkult, da dem Kaiser daran gelegen war, möglichst intensiv verehrt und verherrlicht zu werden. Ohne diese inszenierte Verherrlichung hätte mancher Kaiser blass ausgesehen.

Erstaunlicherweise greift ausgerechnet in diesem Kontext die Bedeutung von Freizeit! Denn die Herrlichkeit steht in einer besonderen Beziehung zur Untätigkeit. „Insofern die Herrlichkeit den letzten Zweck des Menschen und den auf das Jüngste Gericht folgenden Zustand bezeichnet, fällt die Herrlichkeit mit der Beendigung jeder Arbeit und Tätigkeit zusammen. Sie ist das, was bleibt, wenn die Maschine der göttlichen ‚oikonomía‘ ihr Werk verrichtet hat und die Hierarchien und Ministerien der Engel jegliche Tätigkeit eingestellt haben. Während in der Hölle eine Art Strafvollzug fortbesteht, kennt das Paradies nicht nur keine Regierung, sondern sieht auch das Aufhören allen Schreibens und Lesens, aller Theologie, sogar aller liturgischen Feier – außer der Doxologie, außer der Hymne der Herrlichkeit.“

Vom Amen zum Tourismus

Das ist das ewige Amen im Sabbat, Sonn- oder Feiertag! Konsequenterweise wird die Untätigkeit, die Freizeit zur zentralen Dimension sowohl des Menschen als auch Gottes, die alle am siebten Tag ruhen. Auf diese Dimension weist Agamben hin: mit dem Sabbat wird eigentlich nicht das Schöpfungswerk Gottes geheiligt, sondern an diesem Tag wird jegliche Arbeit eingestellt. „Mithin bezeichnet die Untätigkeit das, was Gott am eigentlichsten ist. (‚Untätigsein … eignet in Wahrheit nur Gott‘).“8 Augustinus führt den Gedanken weiter, wenn er aufzeigt, dass das Problem der finalen Untätigkeit der Geschöpfe nicht das menschliche Fassungsvermögen übersteigt, gehe es doch um den „Frieden Gottes, der, wie der Apostel [Paulus, T.E.] sagt, jede Vernunft übersteigt“

. Betrachtet man die Freizeit unter diesem Gesichtspunkt, dann wird deutlich, dass sie nicht einfach nur unter Todsünde zu subsummieren ist. Heute ist sie ein wichtiges Kulturgut und wird zu einem gewissen Teil gefüllt mit den Angeboten des Tourismusgewerbes.

Freizeit und Muße

Muße wird immer wieder mit Faulheit gleichgesetzt. Muße ist allerdings mehrdeutig. Sie kann schlicht bedeuten, nichts zu tun, meint aber auch „tätiges Nichts- Tun“, d. h. Muße, um etwas in Ruhe vorbereiten zu können („absichtsvolle Absichtslosigkeit“). [...]


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