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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2023.3.98-100
Philine Lewek
Ressentiment und Vorurteil
Der Begriff Ressentiment hat als französisches Lehnwort im deutschen Sprachgebrauch deshalb überlebt, weil es kein treffendes deutsches Pendant gibt. In die Nähe gerückt wird oft das „Vorurteil“, definiert als ein Cluster von Einstellungen oder Eigenschaften, die einer Gruppe (oder ihren einzelnen Mitgliedern) zugeschrieben wird und sie direkt oder indirekt abwertet – oft im eigenen (Gruppen-) Interesse. Doch das trifft den Bedeutungsgehalt des Ressentiments nur zum Teil. Zur Definition wird klassischerweise auf die berühmte Fabel vom Fuchs und den Trauben zurückgegriffen: Den Blick aufs Ziel gerichtet, springt der Fuchs vergeblich nach den Trauben, die außerhalb seiner Reichweite hängen. Als er einsehen muss, dass sie unerreichbar sind, wendet er sich mit den Worten ab: „Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben“ und geht davon. Es ist nicht seine Einstellung gegenüber Trauben, die den Fuchs hier zu seiner Aussage bringen, sondern sein Scheitern am Versuch, sie zu bekommen. Der sonst so kluge Fuchs lässt sich zu einem ungeprüften, verächtlichen Urteil hinreißen, motiviert durch seine eigene Unzulänglichkeit und Niederlage. Es ist dieser Aspekt des Unterlegenheitsgefühls, den das Ressentiment ausmacht und von dem, auf die Strukturierung der Umwelt ausgerichteten, Begriff Vorurteil unterscheidet.

Ressentiment und Theologie


Was passiert, wenn aus einem Gefühl der Unterlegenheit Theologie betrieben wird, können wir in einigen Veröffentlichungen der sogenannten Neuen Rechten beobachten. Die deutschsprachige Neue Rechte äußert sich über ein verzweigtes Netzwerk von Publikationsorganen, wie beispielsweise dem Verlag Antaios (Schnellroda, Sachsen-Anhalt) oder dem Ares-Verlag (Graz, Österreich), kontinuierlich öffentlich zu politischen, kulturellen und eben auch theologischen Themen. Als Teil der extremen Rechten könnte man ihre Agenda dabei folgendermaßen zusammenfassen: Ablehnung der liberalen Demokratie, Bejahung eines neuen Nationalismus, Islamfeindlichkeit im Zuge einer Frontstellung gegen die plurale Gesellschaft. Obwohl in der Vorurteilsforschung beim Thema Islamfeindlichkeit eher von Vorurteil gesprochen wird, könnte man im Bereich der neurechten Interpretation christlicher Tradition gegen „den Islam“ durchaus auch von Ressentiment sprechen. Der neurechte Publizist und Ideologe Götz Kubitschek rät in einem Briefwechsel mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie zur strategischen Besetzung der christlichen Tradition – und zwar angesichts einer von Kubitschek behaupteten islamischen Hyperidentifizierung. Die kantische Vernunft eigne sich nicht in der gleichen Weise zu einer politischen Mobilisierung, „weil er der (in Teilen extrem mobilisierungsgeeigneten) Hyperidentität islamischer Glaubensausprägungen nurmehr die dürre Vernunft entgegenzusetzen hat und sich selbst die dringend notwendige Rückbindung an ein nicht Verhandelbares abschneidet“. Mit dem kategorischen Imperativ ist keine neurechte (Massen-)Mobilisierung zu machen – mit dem christlichen Gott hingegen schon. Es ist die gefühlte Unterlegenheit gegenüber dem erklärten Gegner „Islam“, die Kubitschek zu dem Schluss bringt, einen eigenen, neurechten Begriff des Christentums schaffen zu müssen. Das Unterlegenheitsgefühl als Ausgangspunkt für theologische Studien oder zugespitzt: für eine „Theologie des Ressentiments“.

Theologie des Ressentiments


Wie eine Facette dieser „Theologie des Ressentiments“ aussieht, hat der Kulturbeauftragte der EKD, Johann Hinrich Claussen, in seiner Analyse von Karlheinz Weißmanns theologischen Texten treffend beschrieben. Weißmann ist als Publizist, langjähriger Mitarbeiter der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit und Herausgeber der Monatszeitung Cato eine prägende Figur der deutschsprachigen Neuen Rechten. Der promovierte Historiker hat ebenfalls Evangelische Theologie studiert und war jahrelang als Religionslehrer an einem niedersächsischen Gymnasium tätig. Weißmann bezeichnet sich als konservativen Lutheraner. Indem er ein völkisches und vom Jüdischen getrenntes Christentum beschwört, knüpft Weißmann implizit an die kirchenpolitische Partei der „Deutschen Christen“ aus dem Nationalsozialismus an. Explizit bezieht er sich beispielsweise auf den lutherischen Theologen und NSDAP-Mitglied Emanuel Hirsch und rezipiert unkritisch sein Projekt eines „Deutschen Christentums“, ohne auf dessen Wirkungsgeschichte einzugehen. Weißmann bringt diese Positionen anachronistisch gegen einen zeitgenössischen Protestantismus in Stellung. Das Ressentiment zielt in diesem Fall auf eine behauptete „zeitgeistige“, also kompromittierte evangelische Theologie, die ihren Bezug zum „wahren“ Christentum verloren habe.

Gefährliche Theologien

Weißmanns „Theologie des Ressentiments“ steht neben anderen theologischen Strömungen in der deutschsprachigen Neuen Rechten. Es finden sich ordnungspolitisch orientierte Rechtskatholiken, existentiell-christliche Anthroposophen oder fundamentalistische Freikirchenmitglieder neben völkischen Neuheidnischen. Martin Sellner, eine der führenden Figuren der Identitären Bewegung in Österreich, spricht von einem „Burgfrieden“ zwischen den einzelnen Strömungen, der durch den gemeinsamen Gegner einer „links-grünen Hegemonie“ stabilisiert werde. [...]


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