archivierte Ausgabe 4/2012 |
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Gerd Kuhn |
Städte |
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Städte markieren den Beginn unserer Kulturgeschichte. Otto Borst schrieb in einem Essay zu einer Geistesgeschichte der Stadt: „Die ‚Stadt‘ ist nicht nur der Anfang, sondern das gar nicht mehr zu überbietende böse Ende: der Turmbau zu Babel.“ Zu Babel existiert das Gegenbild: das himmlische Jerusalem. In der Offenbarung des Johannes wird davon gesprochen, dass, wie Borst resümiert, dereinst „die reine und endgültig beruhigte, feste Stadt, in der auch eine sozial ausgeglichene Situation selbstverständlich sein wird“, wiederkehrt. In unserer Kultur denken wir Stadt stets als ein Spannungsfeld: als sündigen versus reinen Ort oder als Ort der Befreiung („Stadtluft macht frei“) versus die Menschen verschlingenden Moloch.
Wandel der Städte
Bereits Max Weber merkte an, dass eine Stadt in sehr verschiedener Art definiert werden kann. Allen Definitionen gemeinsam ist nur, dass sie eine geschlossene Siedlung, eine Ortschaft bezeichnen. Städte hatten in vormodernen Zeiten immer eine Umfassung, eine begrenzende Stadtmauer. Die „Einfriedung“ sollte das Gefühl der Sicherheit gewähren, aber auch eine räumlich wie symbolische Einheit für das ständische Gemeinwesen herstellen. Über Jahrhunderte hinweg beruhte die vergleichsweise stabile, aber ungleiche Stadtgesellschaft auf einer festen ständischen und geistigen Ordnung. Diese Ordnung spiegelte sich auch in räumlichen Hierarchien. Im Zentrum lag der Marktplatz als Ort des materiellen Austauschs und der Kommunikation. Die wichtigsten und dominanten Gebäude waren das machtvolle Rathaus und die in den Himmel ragenden Kirchen. Mit der Industrialisierung und Urbanisierung Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich das soziale und räumliche Gefüge grundlegend. Mit dem Schleifen der Mauern löste sich das räumliche Kontinuum auf und es entstand Raum für bürgerliche Villengebiete und Arbeiterquartiere. Statt durchmischter Wohn- und Lebensformen („Ganzes Haus“) erfolgte eine Segregation der Klassen. Die Stadt war immer weniger der Lebensort, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft und Stellung eng zusammenlebten. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkte sich im Kontext von Industrialisierung und Nationalstaatsbildung die politische und Wirtschaftskonkurrenz der Städte. Es wurden moderne Ikonen wie beispielsweise der Eiffelturm in Paris errichtet. Aber auch große Kirchengebäude und Kathedralen wie der Kölner Dom wurden vollendet oder, um eine größere optische Wirkung zu entfalten, wie der Ulmer Dom, Notre Dame in Paris oder der Stephansdom in Wien von angrenzenden Gebäuden befreit und freigestellt. Die neue Ästhetisierung war Ausdruck der Auflösung des früheren kompakten, städtischen Gewebes und der Entflechtung von profanen und säkularen Lebenswelten.
Heute prägen immer weniger sakrale Gebäude die Silhouette einer Stadt, sondern moderne urban icons, häufig als ostentative Machtgesten der Wirtschafts- und Bankenwelt, manchmal auch einzelner Potentaten, die sich gegenseitig zu überbieten suchen. Beispiele dieser immer höheren und immer banaleren Hochhäuser der Worldcities sind etwa das „The Shard“ in London oder das „Burj“ in Dubai. Für den Architekturhistoriker Lampugnani sind die heutigen urban icons „Gesten ohne Sinngehalt“.
Stadtgeschichte war immer auch Religionsgeschichte. Über lange Zeit hinweg wurde dieser Aspekt in der modernen Stadtgeschichtsforschung vernachlässigt. Inzwischen werden jedoch vermehrt Symposien veranstaltet und Themenhefte publiziert, die gerade diesen Aspekt betonen. So wählte das Jahrbuch StadtRegion 2011/2012 als Schwerpunkt „Stadt und Religion“, das Forum Stadt 4/2012 „Kirchenräume neu denken“. [...]
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