archivierte Ausgabe 4/2018 |
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Stichwort |
DOI: 10.14623/wua.2018.4.146-149 |
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Ulrich Berges |
Jesaja |
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Das Jesajabuch ist wie auch die übrigen biblischen Schriften kein Buch im herkömmlichen Sinn, sondern eine literarische Kathedrale, die von ca. 700 v. Chr. bis etwa 300 v. Chr. entstanden ist. Damit erübrigt sich die konservative, noch bis ins erste Drittel des vorigen Jahrhunderts von der Päpstlichen Bibelkommission vertretene Ansicht, die gesamte Schrift stamme vom Propheten Jesaja ben Amoz als alleinigem Autor. Doch auch die besonders durch den protestantischen Alttestamentler Bernhard Duhm in seinem epochalen Jesaja-Kommentar aus dem Jahre 1892 vorgeschlagene Lösung von drei Büchern aus drei Epochen (Protojesaja Jes 1–39 aus assyrischer Zeit; Deuterojesaja Jes 40–55 aus babylonischer Zeit; Tritojesaja Jes 56–66 aus persischer Zeit) kommt seit ca. 30 Jahren immer stärker unter Druck. Für eine solche scharfe Trennung zwischen den einzelnen Teilen sind die Querverbindungen zu stark und die innerjesajanischen Schriftverweise zu zahlreich. Zudem geht kein anerkannter Exeget mehr davon aus, dass z. B. Jes 24–27, die sogenannte „Apokalypse“, aus assyrischer Zeit stamme, sondern dieser Text gehört in die spätpersische, wenn nicht gar in die frühhellenistische Periode. Die simple Gleichung, alles, was vorne im Buch stehe, sei älter als das, was danach komme, geht so nicht mehr auf, auch wenn die ältesten Texte tatsächlich in den vorderen Kapiteln (bes. Jes 6–8) zu finden sind. Das Jesajabuch ist nicht die Summe seiner Einzelteile, sondern ein literarisches Drama, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Jerusalems und Zions zum Hauptgegenstand seiner vielfältigen Inszenierungen hat. Für diese Letztgestalt zeichnen schriftkundige Autoren verantwortlich, die in großer Nähe zu levitischen Sängergilden zu verorten sind. Von daher ist es kein Zufall, dass „Jesaja“ und der „Psalter“ viele Gemeinsamkeiten aufweisen, so die Auffassung von der weltumspannenden Königsherrschaft JHWHs (vgl. Ps 93–100; Jes 6,1; 24,23; 52,7), die Rede vom „neuen Lied“ (Jes 42,10; Ps 33,3; 40,4; 96,1; 98,1; 144,9; 149,1) und von Zion als dem Zentrum einer Kultgemeinde aus Israel und den Völkern (vgl. Ps 87; Jes 2,2–4; 60,3f; 66,18–23).
Kanonischer Dissens
Die Provokation, die aus einer solchen völkeroffenen Israelvorstellung resultiert, macht Jes 56,1ff. deutlich, wo von der Zulassung von Fremden und sogar von Kastraten die Rede ist, an denen der Bund der Beschneidung gar nicht mehr vollzogen werden kann. Das priesterliche Prophetenbuch Ezechiel, in dem an keiner einzigen Stelle das Wort „Zion“ vorkommt, hat das genau verstanden und darauf mit aller Schärfe reagiert: „Fremde, die unbeschnitten sind am Herzen und unbeschnitten am Körper, sie habt ihr eintreten lassen, sie waren in meinem Heiligtum und haben meinen Tempel entweiht, wenn ihr mir meine Opferspeise, Fett und Blut, dargebracht habt. So habt ihr mit all euren Gräueltaten meinen Bund gebrochen“ (Ez 44,7). Was für ein Kontrast zur Ankündigung aus dem Munde Gottes in Jes 56,7, auch die Opfergaben der Fremden seien wohlgefällig auf seinem Altar, „denn mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden“. An diesem Beispiel wird deutlich, wie die prophetischen Bücher einen polyphonen Diskurs über die nachexilische Israel-Existenz als Gottesvolk unter den Völkern anstoßen. Überhaupt ist das Paradigma der biblischen Schriften des AT und NT nicht etwa seichter Konsens, sondern kanonischer Dissens, der dauerhaft zur Auseinandersetzung und eigener Positionierung herausfordert.
Die überaus starke Zentrierung des Jesajabuches auf die Königsherrschaft JHWHs vom Zion aus, die auf die Völkerwelt einladend ausstrahlt (vgl. Jes 2,1–4; 12,1–6; 25,6–8; 32,1–5; 40,1–11; 52,7–12), lässt die Figur des davidischen Sprosses in den Hintergrund treten. So ist es kein Zufall, dass sich das sogenannte „messianische Triptychon“ in Jes 6; 9; 11 im vorderen Teil der Schrift befindet, wobei der erste Text in Grundzügen aus der Zeit Jesajas stammt, der mittlere aus der Endphase der assyrischen Herrschaft (im Hintergrund steht wohl König Joschija, der im Jahre 640 v. Chr. achtjährig auf den Thron kam; vgl. 2 Kön 22) und der letzte aus der persischen Zeit mit deutlich messianischen Hoffnungszügen. Ein „David redivivus“ wird im Jesajabuch in seiner Endgestalt aber nicht erwartet, denn was sollte auch dessen Funktion sein, wenn JHWH auf dem Zion für alle Völker sein Festbankett eröffnet? Zudem wird in Jes 45,1 der Perser Kyrus von JHWH als Messias, als „mein Gesalbter“ bezeichnet, was mit einer davidischen Restaurationsidee unvereinbar ist! [...]
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