archivierte Ausgabe 1/2014 |
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Joachim von Soosten |
Adorno auf Schalke |
Euphorie und Überschwang |
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Adorno war gewarnt. Denn Adorno war verletzlich und ein schutzbedürftiges Wesen. Er wusste, er würde schwach werden. Er schwankte. Sollte er sich Wachs von Honig in die Ohren stopfen? Oder sollte er lieber auf sicherer Distanz bleiben? Adorno entschied sich für eine Sitzplatzkarte. Eine Art Kompromiss zwischen Wachs und Ketten. Adorno war ein zaudernder Odysseus. Den Rausch der Euphorie lehnte er entschieden ab. Das führe in die Narkose, in der das Selbst suspendiert ist. So hatte er es seinen Freunden dargelegt. In der Euphorie sei man nicht mehr ganz bei Sinnen. Inszenierte Massenspektakel sind nichts anderes als ein profanierter Höllentrip. Eine Höllendroge. Sofern man sie einwerfe, wäre man schutzlos der Macht der Illusion ausgesetzt. Adorno liebte dieses Wort: Illusionsmacht. Kultur als Kommerz, so hatte er nachdrücklich verkünden lassen, sei nichts anderes als ein Illusionsakt. Wider den Anspruch auf eigene Wahrheit, darauf beharrte er. Das stand fest. Aber bewahrte nicht auch das gute Glas Wein, das er sich abends einschenkte, eine Art Zauber auf? Einen Schimmer von der alten Macht der Magie, der Illusion und des Glanzes?
Mit einer restlos entzauberten Welt wollte sich Adorno nicht zufrieden geben. Dort, wo das rationale Weltbild dominiert, wird die Sehnsucht nach Wahnsinn und Entrückung wachgerufen. Könnte man das Spektakel auf Schalke nicht auch anderes herum sehen? Als Rudiment einer magischen Welt, dessen offenkundige Hypomanie, die hier im Gange war, die komplett entzauberte Welt wiederum selbst entzaubert?
Euphorie übertreibt und entgrenzt
Das Wesen der Euphorie besteht in nichts weniger als bloßer Überschwänglichkeit. Euphorie ist gesteigertes Glücksempfinden, Begeisterung, Taumel und Leidenschaftlichkeit pur. In euphorischer Stimmung geraten wir außer uns, so dass Außenstehende fragen mögen, ob wir noch ganz bei uns seien. Wer trunken ist vor Glück, an den stellt man die Frage, ob er noch ganz bei Trost sei. Euphorie übertreibt. Gesteigertes Glücksempfinden ist freilich nur der eine Pol der Euphorie. Die Ekstase übertreibt und sie entgrenzt. Kein Fest ohne Grausamkeit, hatte Nietzsche dazu notiert. Euphorie kann umschlagen in bloße Sinnenwut und dann bilden sich neue Sozialordnungen. Die Masse, die Horde oder die Meute, die sich an ihrer Beute berauscht. Glück und Gewalt fusionieren nun. In den Ausfällen der Euphorie „pflegen wir nur die treibende Macht, nicht die Fallkraft und nicht die widerstehende Materie in Rechnung zu bringen“, so hatte Schiller das Problem umrissen.
Schiller soll über seine „Ode an die Freude“ nicht immer glücklich gewesen sein. Des Augenblicks eingedenk, dem sich die Ode verdankt, blieb ihm der Lobgesang zwar lieb und wert, wieder mit nüchternen Augen und im Rückblick betrachtet, kamen ihm die Zeilen aber wegen ihres Weltbeglückungseifers eher peinlich vor, so dass er sie zunächst nicht in die Ausgabe seiner gesammelten Gedichte aufnehmen mochte. Aus dem Kelch, aus dem wir vom Labsal des Weines kosten, schäumt in diesem Lobpreis des Lebens in freudetrunkener Laune nichts anderes als die „Unendlichkeit“. „Seid umschlungen, Millionen / Diesen Kuß der ganzen Welt“, so spricht „feuertrunken“ ein Klimazauber, den wir euphorisch heißen. Diese Stimmung fegt alles weg: „Unser Schuldbuch sei vernichtet!“ Bedächtiger und skeptischer hatte Schiller bereits vorab die mitlaufende Not in allem Enthusiasmus in den Versen notiert. „Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden / Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl.“
Sinnenglück trägt rauschhafte Züge in sich, im Seelenfrieden hingegen finden wir zu einer immer währenden Ausgeglichenheit, die nach Kant von einer Friedhofsruhe nicht so recht zu unterscheiden sei. Auch die Idee des Guten brauche den Enthusiasmus und die Euphorie neben sich, um in den Affekten des Menschen an sinnlicher wie sittlicher Kraft zu gewinnen.
Euphorie unter Verdacht 1: Alles übertrieben
Die Euphorie steht von jeher unter Verdacht. Der erste Verdacht lautet „Alles übertrieben“. Davon zeugt bereits die Person des Paulus. Paulus selbst ist der unruhigste Geist, den die Antike kennt. Mit halben Sachen gibt er sich nicht zufrieden. Zum einen kann er sich in einen triumphalistischen Jubel hineinsteigern. „Verschlungen ist der Tod in den Sieg“ (1 Kor 15,54). Aus seinem Munde vernehmen wir die Siegesfanfare des Christentums. Die Kirche ist eine Sozialform dieser Euphorie, schließlich wird sie vom Christentum selbst die Gemeinschaft der Herausgerufenen (ek-klesia) genannt. Aber zum anderen schlägt bei Paulus das Pendel auch in das andere Extrem aus. „Ich bin mitgekreuzigt“ (Gal 2, 19f.). Euphorie und Depression liegen nahe beieinander und schon in der Gestalt des Paulus selbst sind sie keine Gegensätze. Fehlt dem Christentum die rechte Mitte? Das Christentum ist bewegt von einer geradezu hypomanischen Unruhe; die Sozialform der Ekklesia (Kirche) pendelt zwischen den Extremen. [...]
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