archivierte Ausgabe 1/2023 |
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Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/wua.2023.1.14-20 |
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Andrzej Kaluza |
„Herrsche und teile“ für die national-konservative Wende |
Die Kulturpolitik der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) |
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Betrachtet man die kulturelle Entwicklung Polens in den letzten Jahren, so stechen gleich mehrere internationale Erfolge hervor, zunächst sicherlich die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an die engagierte Autorin Olga Tokarczuk. Internationale Erfolge feierten weitere polnische Literaten, so Szczepan Twardoch, Joanna Bator oder Jakub Małecki. Und der Fantasy-Guru Andrzej Sapkowski wurde 2019 dank dem beispiellosen Erfolg des nach Motiven seines Werks entwickelten Computerspiels „The Witcher“ und einer gleichnamigen Netflix-Serie zeitweilig zum bestverkauften Autor bei Amazon. Auch im Bereich des Films wimmelt es nur so von Erfolgen: So erhielt das Drama „Cold War / Kalter Krieg“ von Paweł Pawlikowski 2017 die Goldene Palme in Cannes, und auf der Berlinale gab es mehrere Auszeichnungen, u. a. für Agnieszka Holland („Spur“), Tomasz Wasilewski („United States of Love“) und Małgorzata Szumowska („Maske“). Als Publikumserfolg in Polen erwies sich dagegen der Skandalfilm „Klerus“ von Wojtek Smarzowski, der mit mehr als fünf Millionen Kinobesuchern an die Popularität von Historien-Produktionen anknüpfte. Viele neue Museen sowie öffentliche und private Kulturinstitutionen sind entstanden, einige wie das Museum der Geschichte der polnischen Juden – POLIN haben ein hohes internationales Renommee.
Dennoch sind die Erfolge kein Verdienst der PiS-Regierung, ja sie kamen ein wenig trotz, wenn nicht ganz als Reaktion auf die aktuelle Regierungspolitik im Bereich der Kultur. Was man auf jeden Fall über diese Regierung sagen kann, ist, dass diese zum ersten Mal nach der Wende viel Geld in die Hand nahm, um die eigene Kultur- und Geschichtspolitik im Sinne des „guten Wandels“ zu fördern. So kann Kulturminister Piotr Gliński damit aufwarten, ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für seinen Kulturetat gesichert zu haben (und ihn damit gar auszubauen in der Lage war).
Streit über die Moderne
Als die Kommunisten 1989 die Macht in Polen an die oppositionellen Solidarność- Eliten abgegeben hatten, spaltete sich nicht nur die bisher durch den Kampf gegen das Regime geeinte Opposition in liberale und konservative Kräfte, sondern auch die Kunst- und Kulturszene und die mit ihr verbundene Öffentlichkeit. Erstaunlicherweise gewann zunächst der Liberalismus in Wirtschaft, Politik und Kultur die Oberhand, die harten, aber erfolgreichen Marktreformen verhalfen der maroden Wirtschaft zu einem Modernisierungsschub und bescherten dem Land nach einigen Krisenjahren eine beispiellose Prosperität. (Polen erlebt seit 1992 ein ununterbrochenes Wirtschaftswachstum!). Auch den öffentlichen Diskurs dominierte lange Zeit die liberale Meistererzählung, nach der Polen in allen anderen Bereichen genauso erfolgreich werden müsse. Allerdings wurde der Kultur, der Wissenschaft, der Bildung und der öffentlichen Verwaltung Sparsamkeit und finanzielle Effizienz verordnet, die in vielen Fällen zu einer Ausdünnung der Kulturlandschaft führten.
In der nun freien, demokratischen Gesellschaft wurden so die ersehnten „postmodernen“ Ideen aufgenommen, die in intellektuellen und künstlerischen Kreisen (zumindest den erfolgreichen) schnell Anklang fanden. So kamen u. a. die Offenheit der Gesellschaft, die kritische Auseinandersetzung mit der glorifizierten Landesgeschichte, die Infragestellung einer eng gefassten nationalen Identität sowie das Streben nach Individualisierung und Befreiung von gesellschaftlichen wie sittlichen Zwängen auf die Tagesordnung. Konservative Werte, die auf nationaler Tradition, herkömmlicher Moral und dem überkommenen (katholischen) Glauben fußten und auf ein traditionelles Familienmodell setzten, fanden sich plötzlich in einer wenig beachteten Nische wieder, die vom liberalen Mainstream für „hinterwäldlerisch“, wenn nicht gar für feindlich angesehen wurde. Die einflussreiche liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza äußerte wiederholt die Angst vor dem aufkommenden Klerikalismus, Nationalismus und Antisemitismus und bekämpfte alle Stimmen, denen die mentalen Veränderungen im Land zu schnell vonstattengingen. Dies war umso erstaunlicher als noch einige Zeit zuvor gerade die katholische Kirche unterdrückter Kunst von nicht regimetreuen Künstlern Freiräume bot. Nach der Wende aber zählte sich die Kirche selbst zu denjenigen, die den Kommunismus besiegt haben. Sie verlangte von der Gesellschaft wie von der Politik dafür Anerkennung und Pfründe, was zu Gegenwehr großer Teile der liberalen Gesellschaft führte. In deren Auffassung sollte der Einfluss der Kirche auf die Öffentlichkeit eingedämmt werden, Polen sollte von nun an offen sein für andere, auch nicht-katholische Traditionen und nicht-polnische Minderheiten. Vor allem aber sollte mit einem moderneren Blick auf die polnische Geschichte geschaut werden, weg von der lähmenden Opfer-Rolle, hin zu einem „modernem Patriotismus“, der zum einen auf einem historischen Selbstbewusstsein aufruht, gleichzeitig aber auf die Rechte und Pflichten von verantwortungsvollen Staatsbürgern ausgerichtet ist. Die bitteren historischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, etwa um das Kreuz an der Grenze zum Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, um die Verschärfung des Abtreibungsrechts, um die polnische Schuld an den Vertreibungen und um die Rolle einzelner Polen beim Holocaust („Jedwabne-Debatte“) zeugten damals schon von einander unversöhnlich sich gegenüber stehenden Positionen, wobei die liberale Auffassung die Debatten am Ende dominierte.
Die konservative Wende
Der „gute Wandel“ – die Politik der konservativen PiS, die im Herbst 2015 und 2019 (mit ihren Verbündeten) die Wahlen für sich entschied, – stellte sich als eine umfassende Transformation heraus, die eine parteiliche Machtübernahme und eine ideologische Neuausrichtung großer Bereiche des öffentlichen, kulturellen und politischen Lebens anstrebte. Dazu gehört in erster Linie die Umwandlung des Justizsystems, die zuerst unter der Losung der „Entkommunisierung“ mit Mitteln der Verunglimpfung des Richterstandes verlief, in Wirklichkeit aber die Ausschaltung der Justiz als dritte Gewalt anstrebte. Die politische Einflussnahme auf die Richterschaft und die faktische Aufhebung ihrer Unabhängigkeit beschert der PiSRegierung bis heute einen heftigen Streit nicht nur mit der Richterschaft und der Opposition im Lande, sondern auch mit der EU-Kommission und vielen Staaten Westeuropas. [...]
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