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Leseprobe 1
Heiner Katz
Freundschaft – soziologisch gesehen
Tiemo R. Peters OP zum 65. Geburtstag

Aktuelle Wertestudien und Umfragen zum Themenbereich „Glück und Lebenssinn“ zeigen übereinstimmend, dass die Menschen unserer Gesellschaft „gelungenen Beziehungen“, „Paarglück“ in der Partnerschaft, dauerhafter Freundschaft und solidarischem Verhalten in ihrem Lebenskonzept mit großen Erwartungen gegenüberstehen, ihnen einen hohen Stellenwert einräumen und in ihnen eine bevorzugte Quelle von Sinnererleben sehen. Sie gelten auch generationenübergreifend nach wie vor als hoher gesellschaftlicher Wert. Gerade die so pragmatisch und bisweilen „egotaktisch“ eingeschätzten Jugendlichen bilden darin keine Ausnahme. In deutlichem Kontrast dazu hat sich die Soziologie mit Freundschaftsverhältnissen und persönlichen Beziehungen nur in wenigen vereinzelten Beiträgen befasst. Dieses Schattendasein muss nicht überraschen, da es ihr längere Zeit hindurch in der Hauptsache um die Erforschung derjenigen sozialen Strukturen, Funktionsbereiche und Grundformen institutionalisierten Handelns ging, denen in ihrem Zusammenspiel eine manifeste Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt zugeschrieben wurde. Sie ermöglichen erst als Netz von aufeinander abgestimmten Rollen ein geregeltes Zusammenleben der Menschen und setzen – als die wirkliche Struktur der Gesellschaft – für das Handeln der einzelnen die bestimmenden Bedingungen. (Vgl. Tenbruck, 435) Ob wir Freunde haben oder nicht, erscheint da eher nur als die Sache privater Bedürfnisse und Anliegen, steht im Belieben der einzelnen Person und ist somit gesellschaftlich irrelevant. Erst in jüngster Zeit zeichnet sich unter den Vorzeichen einer subjektorientierten und auf Biographieverläufe konzentrierten Soziologie eine Wende an, so dass inzwischen Themenfassungen wie „Soziologie des Individuums“ wählbar werden. (Ritsert, 2001)

Im Brennpunkt des Interesses

In der älteren Soziologie ergab sich ein ganz anderes Bild. In ihr erhielt das Thema Freundschaft einen besonderen Rang. Auch hierfür lassen sich nachvollziehbare Gründe benennen. In der Vergemeinschaftung von Individuen, die eine freundschaftliche Verbindung eingehen und damit ein beide umschließendes ,Wir‘ hervorbringen, das aus dem Selbst nicht mehr herausgeschnitten werden kann und als dessen unablösbaren Teil sich jeder von ihnen begreift – eben darin erblickte man dem Überschritt zum Sozialen schlechthin –, meinte man einen Blick tun zu können in die „Brennzelle“ des Gesellschaftlichen in seiner Reinform. Zugleich wollte man so den Maßstab für eine Neuordnung gesellschaftlicher Verhältnisse gewinnen. [...]


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