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Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/wua.2024.2.55-60 |
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Lara Mayer / Carolin Neuber |
Männliche Systeme, weiblicher Widerstand |
Zwei Frauenfiguren im Buch Ester als Vorbild für heute? |
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Der Tod von Zhina Mahsa Amini, die 2022 wegen eines angeblich nicht korrekt getragenen Kopftuchs verhaftet worden war und in Polizeigewahrsam zu Tode kam, hat in Iran eine Protestbewegung ausgelöst, die für mehr Rechte und Freiheit für Frauen in dem ultrareligiös regierten Land kämpft. Noch immer setzen dort Frauen (und Männer), die Widerstand leisten, ihr Leben aufs Spiel. Lohnt sich Widerspruch gegen ein scheinbar unerschütterliches System oder ist er für Einzelne zu risikoreich? Zwei biblische Frauenfiguren bieten dazu überraschend aktuelle Einsichten: Ester, eine jüdische Waise, die persische Königin wird und dadurch ihr Volk retten kann, und Waschti, ihre Vorgängerin, die die negativen Folgen ihres Widerstands tragen muss – war Waschtis Tat daher vergeblich?
Waschti und ihr Widerstand
Das biblische Buch Ester spielt im Persischen Reich, in dessen Nachfolge sich Iran heute versteht. Es beginnt mit einem Festmahl des persischen Königs Achaschwerosch, mit dem er seine Macht und seinen Prunk demonstriert. Auf dem Höhepunkt des Festes kommt dem berauschten König die Idee, neben seinem Reichtum auch seine Frau Waschti als Teil seines Besitzes den feiernden, betrunkenen Männern zur Schau zu stellen. Er schickt sieben Eunuchen, um „Waschti, die Königin, vor den König zu bringen mit dem königlichen Diadem, um den Völkern und den Fürsten ihre Schönheit zu zeigen, denn sie hatte ein gutes Aussehen“ (Est 1,11). Doch es passiert das eigentlich Unmögliche: „Die Königin Waschti weigerte sich, auf das Wort des Königs, das die Eunuchen überbracht hatten, zu kommen“ (Est 1,12). Selbst sieben Männer schaffen es nicht, die Frau zu überzeugen, vor dem König und seinen Gästen zu erscheinen. Waschti lehnt es ab, als Lustobjekt und Statussymbol des Königs vor die betrunkene Menge zu treten. Sie verteidigt damit ihre Würde. Die Stimmung des Königs schlägt daraufhin um: Ausgerechnet eine Frau setzt seiner scheinbar grenzenlosen Macht, die er durch sein Fest zeigen will, Grenzen! Sofort berät sich der zornige König mit seinen Weisen, wie nun zu handeln sei (Est 1,13–15). Lassen sie Waschti ihr Verhalten durchgehen, könnte sie ein Vorbild für andere Frauen sein: Wenn diesen bekannt würde, dass Waschti den Befehl des Königs missachtet hat, würden auch sie nicht mehr auf ihre Männer hören und sie geringschätzen (Est 1,17f.). Die Macht der Männer über die Frauen ist in Gefahr – und zwar nicht nur im Palast, sondern in jedem Haushalt. Dagegen muss vorgegangen werden: Waschti wird abgesetzt (Est 1,19). Doch damit nicht genug: Der König lässt Briefe im ganzen Reich versenden, in denen klargestellt wird, dass jeder Mann der Herr in seinem Haus ist (Est 1,22). Die Ordnung ist wiederhergestellt.
Dieser erste Teil des Esterbuchs stellt ein patriarchales und sexistisches System vor Augen, das aber nicht unerschütterlich ist. Die Weigerung Waschtis und die panische Reaktion der Männer zeigen, dass Widerstand von Frauen ein unterdrückendes System in Aufruhr versetzen kann. Auch im heutigen Iran zielt der Protest darauf, das frauenfeindliche Regime zu erschüttern. Die Machthaber reagieren ähnlich wie die Mächtigen im Esterbuch: Sie versuchen, durch Verschärfung von Gesetzen die Kontrolle zurückzugewinnen.
Ester, die neue Königin
Im Esterbuch ist der Widerstand der Waschti vom König erfolgreich eingedämmt worden. Er erinnert sich „an Waschti und an das, was sie getan hatte und was über sie beschlossen worden war“ (Est 2,1). Auffällig ist die passive Formulierung „was über sie beschlossen worden war“: Der König scheint sich in keiner Weise seiner Verantwortung für das Geschehene bewusst zu sein. Dies zeigt einmal mehr, dass Frauen nur als Besitz verstanden werden und ihr Wert lediglich in ihrer Schönheit liegt. Auch das Vorgehen bei der Suche nach einer neuen Königin veranschaulicht das: Es werden „alle unberührten Mädchen von gutem Aussehen in die Burg Susa“ gebracht, wo sie einer Schönheitskur unterzogen werden. Das Mädchen, das dem König am besten gefällt, soll die neue Königin werden (Est 2,2–4). So kommt die Jüdin Ester an den königlichen Hof und wird als Königin auserwählt, denn sie wird als „Mädchen von schöner Gestalt und gutem Aussehen“ (Est 2,7) beschrieben. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie von deren Haushalt in die Verfügung ihres Cousins Mordechai gekommen (Est 2,7), nun wird sie dem Palast des Königs zugeführt (Est 2,8) – als Frau wird ihr zu keinem Zeitpunkt Eigenständigkeit zugestanden.6 Im Königspalast verschweigt Ester ihre jüdische Herkunft – ganz so, wie Mordechai es ihr aufgetragen hatte (Est 2,10.20). [...]
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