archivierte Ausgabe 3/2013 |
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Dieter Funke |
Stichwort II |
Vertrauen und seine Kriterien |
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Vertrauen betrifft sowohl unsere privaten Beziehungen als auch die Einstellung zu öffentlichen Personen und Institutionen. Vor allem zu Politikern und zur Politik ist das Vertrauen in eine Krise geraten, z. B. durch Plagiate, Honorarzahlungen, Vertuschungen usw. Vertrauen jedoch bedeutet, Kontrolle abzugeben und damit das Risiko einzugehen, enttäuscht zu werden. Wegen massiver Enttäuschungen hat sich das berechtigte Bedürfnis nach Transparenz und Kontrolle bisweilen ins Groteske gesteigert. Die Verbindung zwischen Vertrauen und Misstrauen scheint zerrissen zu sein. Wenn die Enttäuschungstoleranz ebenso abnimmt wie ein berechtigtes Misstrauen, geraten Vertrauen und Misstrauen in einen Gegensatz. Das eine wird vom anderen abgespalten. Vertrauen lebt jedoch von seiner Verbindung zum Gegenpol, dem Misstrauen. Diese sich bedingende Polarität erschließt sich erst, wenn man in psychoanalytischer Perspektive auf die Entstehung von Vertrauen schaut.
Sicherheit durch Bindung in Freiheit
Eines der zentralen Grundbedürfnisse des Menschen ist Sicherheit. Da die menschliche Spezies mit relativ wenigen Instinkten ausgestattet die Bühne der Welt betritt, ist eine haltende und emotionale Sicherheit gebende Bezugsperson wichtig. Wenn eine solche Person – meistens ist es die Mutter – verlässlich zur Verfügung steht, kann eine stabile Bindung zu ihr aufgebaut werden. Die Verinnerlichung dieser Bindung führt zur Gewissheit, gehalten und getragen zu sein. Wer sich sicher gebunden fühlt, kann sich in späteren Beziehungen relativ frei bewegen. Diese Freiheit bedeutet, situativ und realitätsbezogen entscheiden zu können, ob Vertrauen angemessen ist. Dies meint, dass der Gegenpol des Vertrauens, das Misstrauen, zugelassen werden kann, ohne dass dadurch ein Grundvertrauen etwa zu einem geliebten Menschen in Frage gestellt wird.
Die emanzipatorische Kraft des Misstrauens
Die Bindungsforschung grenzt von den sicher gebundenen Kindern die unsicher oder ambivalent Gebundenen ab. Der unsicher Gebundene hat es schwer mit dem Vertrauen, weil er nicht auf die innere Ressource der emotionalen Sicherheit zurückgreifen kann. Der ambivalent Gebundene sucht ständig nach Menschen, an denen und mit denen er seine Zweifel an seiner emotionalen Unsicherheit loswerden kann. Deshalb neigt er zum blinden Vertrauen, was ihn übersehen lässt, dass es Menschen und Situationen gibt, denen man besser nicht vertraut. Der Gegenpol des Vertrauens, das Misstrauen, entsteht, wenn das „Ur-Vertrauen“, von dem Erik H. Erikson in seinem Werk „Identität und Lebenszyklus“ spricht, in einem erträglichen Maß enttäuscht und verletzt wird. Diesem Misstrauen wohnt eine emanzipatorische Kraft inne, es wird zum Motor unserer Individuation, denn es mobilisiert die Kräfte, die ein Mensch braucht, um sich abzugrenzen, sich zu unterscheiden und durch den Aufbau von inneren Grenzen ein autonomes Ich-Gefühl zu entwickeln. Wenn alle nur darauf vertrauten, dass es so, wie es ist, gut ist, dann gäbe es keine Entwicklung im Sinne von Individuation und Identitätsbildung. Sog. blindes Vertrauen wäre dann also ein Kriterium, dass das Vertrauen nicht echt ist, sondern eher einem naiven Wunschdenken entspricht. Vertrauen ist echt, wenn es auch Kontakt zu seinem Gegenpol, dem Misstrauen hat. Das bedeutet, dass Vertrauen die Toleranz von Ambivalenz voraussetzt. Ambivalenztoleranz beinhaltet die psychoanalytische Grundeinsicht, dass die Regungen unseres Seelenlebens grundsätzlich bipolar sind, was so viel bedeutet, dass jedem Wunsch auch ein Gegenwunsch zugeordnet ist. Liebe ist nicht frei von Hass, Nähewünsche nicht frei von Distanzierungsbedürfnissen, gut ist nicht von böse zu trennen und Freude nicht ohne Trauer zu haben. In Beziehungen neigen wir Menschen dazu, diese Ambivalenz zu spalten: aus dem grundsätzlichen „sowohl als auch“ wird dann ein „entweder-oder“: Jemand ist dann entweder ausschließlich gut und damit vertrauenswürdig oder ausschließlich böse und damit vertrauensunwürdig. Die Folge solcher Spaltungen ist, dass der Einzelne eine Situation nicht mehr vollständig erleben kann, sondern noch die zugelassenen Anteile von sich selbst und anderen zu sehen imstande ist. Seine Wahrnehmung und Einschätzung einer Situation ist halbiert. Damit ist er nicht mehr frei, situationsbezogen zu entscheiden, ob Vertrauen sinnvoll ist oder ob Misstrauen und damit Grenzsetzung die bessere Alternative wäre.
Ambivalenzspaltungen in der Mutter-Vater-Kind-Kommunikation
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Vertrauen von zwei Seiten bedroht ist: Wenn der Pol „Misstrauen“ abgespalten wird, wird Vertrauen blind, wenn die Fähigkeit, zu vertrauen unentwickelt ist, bleibt nur Misstrauen, was wiederum zum Rückzug auf sich selbst führt. Diese Selbstabkapselung ist das Ergebnis von mangelhaften Beziehungserfahrungen des Kindes in der Position zwischen den Eltern. Die Beschädigung dieses Dreiecks geschieht, wenn in der Familiengruppe nicht klar ist, wer welchen Platz einzunehmen hat, also wer Mutter, wer Vater und wer Kind ist. Wenn die einzelnen Positionen nicht klar getrennt und die Eltern unsicher in ihrer Elternrolle sind, können sich keine stabilen Personengrenzen zwischen allen Beteiligten entwickeln. [...]
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