archivierte Ausgabe 3/2017 |
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Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/wua.2017.3.107-111 |
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Dietmar Mieth |
Demut bei Meister Eckhart |
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Die „Demut“ als zentrale spirituelle Haltung war Meister Eckhart unter den traditionellen Mönchstugenden vorgegeben. Die Dialektik von Selbsterniedrigung und Erhöhung, von der Erdhaftigkeit und Himmelsbestimmtheit des Menschen war ihm vertraut. Was hat er aus diesen Vorgaben gemacht? Ich sehe drei Stufen oder drei Varianten seiner Analyse dieser spirituellen „Tugend“: erstens, eine spirituelle Konvention, die er kennt und erinnert. Zweitens eine Angleichung der Demut an die spirituelle Höchstform, die er „Abgeschiedenheit“ nennt. Schließlich, drittens, eine Suche nach der Transposition der Demut als moralische Anschauung Gottes selbst aufgrund der biblisch-theologischen Vorgabe, die im paulinischen Hymnus Phil einen Entstehungsort hat, den Eckhart freilich nicht unmittelbar einbezieht.
Die spirituelle Konvention
Die spirituelle Konvention wird von Eckhart erinnert und mit geflügelten Worten Bernhards von Clairvaux zum Ausdruck gebracht (s. u. die vier Grade).2 Anders als bei der Mönchstugend des Gehorsams wird aber nicht die Demütigung vor Menschen, sondern ausschließlich die Demütigung vor Gott von Eckhart zur Sprache gebracht. Ein Beispiel:
- Im Buch der göttlichen Tröstung, DW V, 115: „homo“ in Latein von „humus“ – „den Namen hat er von der Erde“ 23f.; „der sich völlig unter Gott neigt, ohne noch ein Hindernis dabei zu spüren“ (20–23). - In den Reden der Unterscheidung: Demut (demüeticheit) ist „tugent“ (216,4), entspricht der Haltung der „andâht“ (235,10) und äußert sich in der Selbstvernichtung und Selbstverleugnung (292,6–11). - „Die höchste Höhe der Hochheit liegt im tiefsten Grunde der Demut“ (293, 5f.). - Zum Vergleich dazu aus einer lateinischen Predigt: „elevatio fit humilitate solum“ (LW IV, 224,14 f).
Die Verbindung von Tiefe und Fallhöhe, von Erdennähe und Aufstieg findet sich in einer weiteren lateinischen Predigt: Sermo LV, 2 LW IV, 453– 456: „Wenn das Weizen Korn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Stirbt es aber, so bringt es viele Frucht.“ (Joh 12,24–26)
Eckharts Kommentar dazu lautet: Gottes Hingabe ist ohne Vorbehalt. So sollte auch unsere Hingabe sein. Das Weizenkorn ist das reinste Korn. So sollte auch unsere Läuterung sein. Das Hineinfallen ist die humilitas, zu der vier Grade gehören: Die Weltziele aufgeben (spernere) etc. und (von Eckhart, weil konventionell präsent, ungenannt): sich selbst aufgeben, niemand herabsetzen, nicht darauf achten, dass man nicht geachtet wird.
- Die Frucht der Demut ist die Gottesgeburt in der Seele. Der Tau des hl. Geistes fällt auf die Seele (nach LK 1,35). - Demut als Selbstvergessenheit findet sich auch als besondere Auszeichnung bei Franziskus (vgl. Predigt 74, DW III, 275,6).
Eine Angleichung der Demut an die Loslösung, die Gelassenheit und die Abgeschiedenheit
Eine Veränderung über diese Dialektik von oben und unten hinaus findet sich in der Angleichung der Demut an Eckharts spezifische spirituelle Termini der Loslösung, der Gelassenheit und der Abgeschiedenheit.
Im Traktat „von Abgeschiedenheit (DW V, 404,8–405,3) heißt es: „Ich lobe – im Gegensatz zu den Meistern – Abgeschiedenheit vor allem Lob der Demut (dies scheint demnach eine Frage der Reihenfolge, nicht der wertenden Reihung! D.h. also: „bevor ich die Demut lobe“), und zwar, weil (göttliche) Demut ohne Abgeschiedenheit bestehen kann, aber vollkommene Abgeschiedenheit (des Menschen?) vermag nicht ohne vollkommene Demut (Gottes?) zu bestehen, denn Demut ist Selbstvernichtung.“ Eckhart identifiziert hier Demut und Abgeschiedenheit auf der Ebene der Vollkommenheit. Wenn ich die für mich sonst unklare Stelle richtig – sehr gewagt! – mit Klammern ergänze – um der Logik der Aussage willen –, dann ist hier mit der Demut Gottes (vgl. Phil. 2, 1–11!) bereits das vorgezeichnet, was an anderer Stelle „Enthöhung“ Gottes heißt.
Eckhart macht sich selbst den Einwand: warum rühmt sich Maria wegen ihrer Demut (Niedrigkeit, humilitas), aber nicht wegen ihrer Abgeschiedenheit? Seine Antwort: In Gott ist Abgeschiedenheit zugleich Demut, d. h. die Tugend schlechthin, insofern wir in Gott von „Tugend“ (moralischer Qualität) sprechen können. „Gottes liebeswürdige Demut brachte ihn dazu, dass er sich in die menschliche Natur herab neigte.“ (407) Die „unbewegliche Abgeschiedenheit ist die wahre Demut Mariens“ (408,6 f. bis 409). [...]
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