archivierte Ausgabe 3/2019 |
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Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/wua.2019.3.102-109 |
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Dieter Funke |
Bild und Wort |
Psychoanalytische Erkundungen zu Sinnlichkeit und Sprache |
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Die Zeiten der digitalen Bilderflut erfordern es, über das Verhältnis von Sehen und Hören, von Bild und Wort nachzudenken. Dies geschieht hier unter psychoanalytischen Gesichtspunkten. Psychoanalytisch bedeutet, dass die verborgen-unbewusste Dimension von „Bild“ und „Wort“ in den Blick gerät. Beide Begriffe stehen in Anführungszeichen, weil sie hier nicht konkretistisch, sondern metaphorisch verstanden werden.
„Bild“ steht für eine vorsprachlich-sinnliche Wahrnehmung, die sich im Sehen, Tasten, Schmecken, Riechen, in Gestik, Musik und Poesie vollzieht. Diese sinnliche Welterfahrung entsteht in der kindlichen Entwicklung vor dem Spracherwerb und stellt eine eigenes, sehr körpernahes Sinnsystem dar. Man könnte mit Alfred Lorenzer auch von der „Basisschicht der Persönlichkeit“ sprechen, in der die präverbalen Fähigkeiten wie Intuition, Empathie und Einheitserfahrungen wurzeln
„Wort“ steht für das Verstehen einer logisch strukturierten Sprache, deren Worte eine inhaltliche Bedeutung transportieren. Wenn das Kind sprachfähig wird, tritt neben die sinnlich-symbolische Weise der Wahrnehmung der rational-diskursive Modus des Denkens und Sprechens, der auch Selbstreflexion, Selbsttranszendierung und damit Emanzipation ermöglicht.
Wenden wir uns zunächst diesen beiden Weisen des Selbstausdrucks und der Weltwahrnehmung zu. Dabei soll die sinnliche Seite des Bildes besondere Beachtung erfahren, denn über „Bilder“ – von den steinzeitlichen Höhlenmalereien bis zur Video-Installation – werden Wünsche und Sehnsüchte, aber auch Ideale, Normen und Verhaltensweisen medial in uns hineingelegt, die meistens unbewusst bleiben, weil sie nicht an die reflektierende Sprache gebunden sind. Darin liegt die Macht der Bilder, denen wir alle – digital vermittelt – mehr oder weniger unmittelbar ausgesetzt sind. Ohne Zweifel gehen von Bildern stärkere Reize aus als vom gesprochenen oder gedruckten Wort. Offenbar sind Bilder gefälliger als das spröde und abstrakt anmutende Wort.
Die sinnliche Ebene ist nicht nur an Bilder im direkten Sinn gebunden, sondern vollzieht sich in vielfältigen vorsprachlichen Vorgängen in Form von Ritualen, Gesten, Symbolen, Poesie, akustischer Wahrnehmung und allen Formen künstlerische und religiösen Selbstausdrucks. Die Reflexion über diese „Bilder“ findet allerdings hier im Medium der Sprache statt. In der Reflexion darüber wird die Anziehung und der Reiz der Bilder, die im Unbewussten liegen, verstehbar.
Die Anfänge des „Hörens“
In der Entwicklung der sinnlichen Wahrnehmung nimmt das „Hören“ den ersten Platz ein. Hören habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil es ein Hören gibt, bevor man die inhaltliche Bedeutung der Worte hört bzw. die an Worte gebundene Sprache erlernt und versteht. Der Blick folgt erst später, er setzt die Distanz zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mutter und Kind voraus und sucht zugleich diese Getrenntheit aufzuheben.
Die erste Form des Hörens ist ein sinnliches Ganzkörperhören von Tönen, Schwingungen und Geräuschen, dann erst folgt ein sinnverstehendes, inhaltliches und an Sprache gebundenes diskursives Hören. Die pränatale Psychologie kommt zu dem Ergebnis, dass der Beginn der Reifung des sensorischen Apparats und der Entwicklung des Gehirns in der vorgeburtlichen Zeit immer früher anzusetzen sei. Gegen Ende der ersten drei Monate sind Nervensystem und Sinneswahrnehmung soweit entwickelt, dass die Bewegungen und der Herzschlag des Fötus gesteigert werden, wenn er im Bauch der Mutter ein lautes Geräusch gibt. Diese frühe Form des Hörens geschieht nicht über das Ohr, sondern alle Zellen des Körpers funktionieren wie eine Membrane, die alle Schwingungen erfasst und ein nicht-zielgerichtetes oder gar auf Verstehen angelegtes Ganzkörperhören ermöglicht. Ebenso reagiert der Fötus auf Berührungen seiner Handflächen mit einer Greifbewegung, auf Berührung seiner Lippen mit Saugen und auf Berührung seiner Augenlider mit einem Blinzeln. Wird in dieser Zeit der Bauch der Mutter mit einem hellen Licht angestrahlt, dreht der Fötus seinen Kopf vom Licht weg, weil das Sehvermögen schon gut entwickelt ist. Diese Fähigkeiten des Fötus, fühlen, sehen, riechen, hören und schmecken zu können, lassen die alte Auffassung vom empfindungslosen und schmerzunabhängigen Fötus ebenso als einen Mythos erscheinen wie die Annahme, der Mutterleib sei ein ausschließlich ruhiger, geschützter, paradiesischer Ort des Wohlbehagens und der Harmonie, an den der geborene Mensch später immer wieder zurückkehren wolle. [...]
Lesen Sie den kompletten Artikel in der Printausgabe.
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