archivierte Ausgabe 1/2014 |
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Klaus Nientiedt |
Zwischen Euphorie und Ernüchterung |
Benedikt XVI. und Franziskus im Spiegel öffentlicher Erwartungen |
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Seit der Wahl von Papst Franziskus erlebt – wenn man manchen Medien und Schreibern im Internet glauben will – die katholische Kirche eine Art „Honey moon“. Demoskopische Befragungen ergeben Resultate, von denen man bislang nur träumen konnte. Der argentinische Papst ist „in“. Politikerinnen und Politiker, die ihn getroffen haben, unter ihnen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, äußern sich begeistert. Seine erste Pressekonferenz – im Flugzeug auf dem Rückweg von Rio de Janeiro nach Rom – absolvierte er in einer Lockerheit, die man bislang Päpsten kaum zutraute – und vielleicht er sich selber auch nicht. Mit seinem ersten Interview – er gab es stellvertretend für eine Gruppe von Jesuitenzeitschriften aus aller Welt der italienischen „Civilta Cattolica“ – sorgte er weltweit für Aufsehen. Kaum ein Tag vergeht, an dem „Franziskus“, wie er zunehmend umstandslos immer öfter genannt wird, von sich reden macht.
Viel entschieden hat der neue Bischof von Rom noch nicht, sieht man von einigen Ernennungen beziehungsweise Bestätigungen in vatikanischen Ämtern ab. Auch viele Reisen hat er noch nicht unternommen – aber irgendetwas scheint an ihm zu sein, was auch jetzt schon überzeugt. Die Stimmung ist umso erstaunlicher, als Papst Franziskus auch bislang schwer einzuordnen ist in die üblichen Register innerkirchlicher Unterscheidungen: Jorge Bergoglio gilt weder als konservativ, noch ist er das, was manche „progressiv“ nennen. Ein amerikanischer Historiker hilft sich in der Situation mit der Charakterisierung, er sei eben „radikal christlich“ – aber auch diese Bezeichnung ist erläuterungsbedürftig. Nicht als würde man der katholischen Kirche eine solche Hochstimmung, wie man sie derzeit antrifft, nicht gönnen – ganz im Gegenteil. Aber die entstandene Situation gibt doch Rätsel auf: Was genau drückt sich in ihr aus? Wie konnte sie entstehen? Wie tragfähig ist sie wirklich? Könnte sie schon bald ein ähnliches Schicksal erleiden wie jene Euphorie, die – so verschieden sie in der Sache auch gewesen sein mag – den Beginn des Pontifikats von Benedikt XVI. kennzeichnete?
Die Euphorie, die seit der Wahl des Papstes aus Argentinien entstanden ist, hat jedenfalls verschiedene Ursachen. Nicht allein das, was Papst Franziskus tut und sagt, macht plausibel, wie gut er in der öffentlichen Meinung wegkommt. Auf reale Konsequenzen muss man noch weithin warten – was im Übrigen nicht erstaunlich ist angesichts der Größe und Komplexität der Aufgaben, die vor dem Bischof von Rom liegen. Einiges von jener aktuellen Euphorie dürfte vor allem die Enttäuschungen und Ernüchterungen widerspiegeln, die vom Vorgänger geblieben sind. Manches davon mag aber auch mit einem bestimmten modernen Verständnis des Petrusamtes zu tun haben – ganz gleich ob der Amtsinhaber nun Benedikt XVI. oder Franziskus heißt.
„Wir sind Papst“
Gerade in diesen Wochen erinnert man sich daran, dass auch der Pontifikat von Benedikt XVI. in seiner Anfangszeit durchaus gewisse euphorische Stimmungen hervorrief. Der Bild-Zeitung war es vorbehalten, mit der genialen Überschrift „Wir sind Papst“ die Stimmung auf den Punkt gebracht zu haben. In den Augen mancher synchronisierte sich die Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Nachfolger von Papst Johannes Paul II. mit einem grundlegenden Wandel im öffentlichen Umgang mit Glaube und Religion („neue Religiosität“). Vereint mit dem neuen Nachfolger Petri schienen die Zeitgeistverächter für einen Moment selbst den Zeitgeist entscheidend zu verändern. Eine neue Zeit sollte angebrochen sein – der Name einer konservativen Jugendbewegung sagte eine „Generation Benedikt“ an. Das Problem war nur: Diese Euphorie erscheint aus heutiger Sicht weniger gerechtfertigt gewesen zu sein. Die Überschrift der Bild-Zeitung am Tag nach der Papstwahl von Benedikt XVI. wurde der Unterschiedlichkeit der Gefühlslage der Bevölkerung in Deutschland nicht wirklich gerecht. Vor dem damaligen Konklave war – wenigstens in Deutschland – die Ansicht zu hören, deutsche Kardinäle hätten keine Chance gewählt zu werden – die Erinnerung an die vom Nationalsozialismus begangenen Verbrechen sei noch zu frisch. Als es dann doch ein Deutscher wurde, glaubte sich gerade auch das säkulare Deutschland endgültig in den Kreis zivilisierter Nationen aufgenommen worden zu sein. Die Überschrift „Wir sind Papst“ mochte insofern ebenso viel und ebenso wenig mit Glaube, Kirche und Papsttum zu tun haben, wie das analoge Bonmot „Wir sind Olympia“ nach der Wahl von Thomas Bach zum neuen IOC-Präsidenten mit elementarer Begeisterung für den olympischen Sport zu tun hat.
Beim letzten Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. setzte sich dieses Phänomen fort: Ein Teil des öffentlichen Interesses an dem Besuch kam aus einer Haltung, die mit dem christlichen Glauben, mit der spezifischen Botschaft von Benedikt XVI., nur wenig zu tun hatte und damit auch nichts anfangen konnte. Im Umfeld des Besuchs in Freiburg im Breisgau war immer wieder so oder so ähnlich zu hören: „Das wird es die nächsten tausend Jahre nicht mehr geben...“ Der Anwesenheit des Papstes in der Breisgau-Metropole wurde eine Bedeutung zugemessen, die sich touristisch und medial verselbständigt hatte. Event statt Evangelisierung. Die Hoffnung, persönlich an einem Ereignis teilnehmen zu können, das in die Geschichte der betreffenden Stadt, des Landes, eingeht, beherrschte die Szene. Der Versuch seitens der Deutschen Bischofskonferenz beziehungsweise des gastgebenden Erzbischofs, mit dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in seinem Heimatland bestimmte Inhalte zu verbinden, dürfte – so unverzichtbar er aus kirchlicher Sicht auch war – in vielen Fällen an den Bedürfnissen dieser Art vorbeigegangen sein. [...]
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