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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/wua.2019.1.16-21
Klaus Pfeffer
Führen in Zeiten von Abschied und Neuentwicklung der Kirche
„Führen muss man wollen – und leiten muss man können.“ So war meine erste Fortbildung für Führungskräfte überschrieben, an der ich als junger Priester vor knapp zwanzig Jahren teilnahm. Ich hatte die Leitung einer Jugendbildungsstätte übernommen, in der ich Veränderungsprozesse anstoßen sollte. Der theologische Fächerkanon während meiner Ausbildung war umfangreich, aber Führungswissen kam nur spärlich vor. Jetzt wurde mir klar, dass die Leitung einer Organisation eine eigene Kompetenz verlangt. Damals erfuhr ich leidvoll, dass Organisationen aus sich heraus selten Veränderungen wollen. Sie ringen eher um ihren Selbsterhalt. Führung verlangt deshalb, die Menschen in einer Organisation in Bewegung zu bringen. Das setzt voraus, die Führungsrolle anzunehmen und führen zu wollen. Dass es neben diesem Wollen dann auch um Können geht, versteht sich von selbst: Führung braucht auch Wissen, praktische Instrumente und Intuition.

Die Erfahrung meiner frühen beruflichen Jahre holte mich ein, als ich 2012 zum Generalvikar ernannt wurde. Gemeinsam mit dem Bischof ging es jetzt um die Führung eines Bistums. Wieder stand die Frage nach dem „Wollen“ an: Wohin wollen wir die uns anvertraute Kirche führen? Wir nahmen uns Zeit und Abstand, um mit einem Berater in Klausur zu gehen. Dieser mutete uns zu, auf die Wirklichkeit zu blicken: In welchem Zustand befindet sich die Kirche? Wie verlaufen die gesellschaftlichen Entwicklungen und welche Folgen haben sie für die Kirche? Wir waren uns einig: Die Kirche wird nicht bleiben, wie sie ist – die Menschen entfernen sich in immer größerer Zahl von ihr. Die Gefahr ist groß, dass sie in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Darum braucht es grundsätzliche Veränderungen, damit die Botschaft von Jesus Christus auch künftige Generationen erreichen und bewegen kann.

Rückblickend war dieser Moment der Klausur entscheidend für unseren weiteren Weg in der Leitung des Bistums. Er markiert ein wesentliches Element kirchlichen Führungshandelns: Es braucht den inneren Abstand und die kontinuierliche Reflexion, um die je gegenwärtige Situation wahrzunehmen – und um daraus die angemessenen Schritte für die Zukunft zu entwickeln.

Vom Dialog-Prozess zum Zukunftsbild

Es war ein Glücksfall, dass der Beginn unseres Weges mit dem Dialog-Prozess verbunden war, der seit dem Jahr 2011 im Bistum Essen eine intensive Debatte ausgelöst hatte. Auf allen Ebenen riskierten zahlreiche Gläubige einen schonungslosen Blick auf die kirchliche Wirklichkeit. Viel Unzufriedenheit kam zur Sprache: Kirchenaustritte, sinkende finanzielle und personelle Ressourcen, Rückgang der Priesterzahlen, offene Zweifel an kirchlichen Lehren und ungelöste kirchenpolitische Streitfragen sorgten für Frust und Zorn. Der zunächst „nur“ zuhörende Bischof wurde angefragt: Wie sieht er die Lage und wohin will er mit „seinem“ Bistum gehen? Das war die Chance, unsere eigenen Analysen und Überlegungen offen zu legen.

Wir präsentierten eine mögliche Perspektive für eine künftige Kirche und stießen auf eine überaus positive Resonanz. So entstand in den folgenden Monaten ein Zukunftsbild, das die Grundüberzeugungen von Bischof und Generalvikar sowie viele Einschätzungen und Empfehlungen aus dem Dialog-Prozess zusammenführte. Der entstandene Text fasst die Kennzeichen einer Kirche zusammen, die vielfältig, wach, wirksam, nah und lernend sein will; und die sich gesendet weiß, damit Menschen berührt werden vom Gott Jesu Christi.

Die Brisanz der angestrebten Veränderungen Mit dem Zukunftsbild war eine inhaltliche Grundlage skizziert, die alle weiteren Prozesse innerhalb des Bistums bestimmen sollte. Wichtig war nun, möglichst viele Menschen mit diesem Zukunftsbild in Kontakt zu bringen, um eine inhaltliche Auseinandersetzung anzustoßen. Es sollte eine Veränderungsbereitschaft geweckt werden, ohne die die Prozesse der folgenden Jahre nur schwer zu vollziehen sein würden.

- Das Zukunftsbild verweist auf die Bedeutung von existentiellen geistlichen Erfahrungen, auf die christlicher Glaube beruht. Bleiben sie aus, dann verkümmert der Glaube zu einer Gewohnheits- und Behauptungsreligion, die keine Bedeutung mehr beanspruchen kann. Viele Aussagen von Gläubigen decken auf, wie hoch das Defizit an geistlichen Erfahrungen bereits ist: Gottesdienste werden als „langweilig“ erlebt, die religiöse Sprache als fremd und unverständlich, die kirchlichen Lehren als lebensfern. Selbst engagierten Katholiken fällt es schwer, auf Erfahrungen des eigenen Glaubens zu verweisen. Auf die Frage, worin die existentielle Bedeutung des christlichen Glaubens liegt, folgt oft hilfloses Schweigen. Hier stehen nicht nur die Qualität kirchlicher Liturgie und anderer inhaltlicher Angebote zur Debatte, sondern das spirituell-theologische Selbstverständnis eines jeden einzelnen. [...]


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