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Leseprobe 2
Henryk Anzulewicz
Die Stadt und Albertus Magnus
Von den beiden Mendikantenorden, die Anfang des 13. Jh., dem Zeitalter einer rasch fortschreitenden Urbanisierung Europas gegründet wurden, den Franziskanern und den Dominikanern, gilt der Predigerorden (– dies ist die offizielle Bezeichnung der letzteren –) bis heute als ausgesprochen „stadtzentriert“. Es verwundert deshalb nicht, dass eine seiner bedeutendsten Persönlichkeiten der Anfangszeit, Albertus Magnus, ein Stadtmensch im wahrsten Sinne war. Als der Schwabe um 1200 in Lauingen zur Welt kam, hatte sein Geburtsort offenbar noch keine Stadtmauer, die ab dem 12. Jh. für eine mittelalterliche Stadt typisch war. Vielleicht deshalb bezeichnete er Lauingen in Anknüpfung an seine Erfahrungen aus der Kindheit als eine villa, womit ein Dorf, ein Landgut oder eine Stadt gemeint sein konnte. In der Forschung nimmt man als gesichert an, dass Lauingen ein strategisch wichtiger Stützpunkt von Friedrich I. Barbarossa war und zu den Stadtgründungen der Hohenstaufen aus der zweiten Hälfte des 12. Jh. gehört. Eine Urkunde oder ein Datum der Stadtgründung oder Erhebung zur Stadt sind nicht überliefert.

Die Ursprünge des Dominikanerordens gehen auf die Welle der charismatischen Armutsbewegungen zurück, deren Hauptgründe die sozialen Umbrüche infolge der Urbanisierung und der Verarmung städtischer Bevölkerung, millenaristisch-apokalyptische Strömungen in der Volksfrömmigkeit und die Reaktionen auf die Verweltlichung der Kirche und den Verlust ihrer Glaubwürdigkeit waren. Die Dominikaner gründeten ihre Konvente mitten in den Großstädten, um von hier aus das Evangelium in alle Richtungen und an alle Schichten und Gruppen der städtischen Bevölkerung zu verkünden und es durch ihre Lebensweise in Armut zu bezeugen. Sie waren seit ihrer Gründung aus dem Stadtbild, das sie prägten und entscheidend veränderten, nicht wegzudenken. Ihr Einfluss erstreckte sich vom pastoral-religiösen Sektor bis in den kommunalen Bereich und reichte bis zum Kern der städtischen Verfassung, wie am Beispiel der Stadt Köln und der Rolle des Albertus Magnus, die er in der städtischen Entwicklung spielte, sichtbar wird.

Albertus Magnus und die Theologie der Stadt


Es ist zumindest in Fachkreisen gut bekannt, dass die Frühwerke des Albertus Magnus, De natura boni und De bono, sein Kommentar zu den Sententiae des Petrus Lombardus (Buch IV), seine bibelexegetischen Schriften und die beiden Kommentare zur Nikomachischen Ethik sowie der Kommentar zur Politik des Aristoteles sich mit der Problematik der bürgerlichen Tugenden, des Gemeinwohls, seiner onto-theologischen Grundlegung und mit den verschiedenen Formen politischer Gewalt befassen. Bekannt ist ebenfalls, dass Albertus ein Stadtmensch aufgrund seines Wirkungsfeldes war, dessen Lebensstationen eine nicht enden wollende Reihe von Städten markiert. Der Tatsache, dass er von seiner gesellschaftspolitischen Kompetenz mehrfach und vielerorts Gebrauch machte, ist in der jüngsten Vergangenheit in der Geschichtsschreibung Kölns viel Aufmerksamkeit gewidmet worden. Weniger bekannt ist hingegen, dass er eine ganzheitliche Theorie der Stadt entwarf, in der theologische, philosophische und politische Sichtweisen wie im Brennglas zusammenlaufen. Mancher Kenner der scholastischen Theologie wird überrascht sein, zu erfahren, dass Albertus Magnus einer der ersten mittelalterlichen Denker ist, der eine theologisch fundierte Theorie der Stadt und des Gemeinwesens entfaltete, die sich an die antiken Konzepte der Stoa und die politischen Ansichten des Aristoteles anlehnt und sie adaptiert. Er tat dies in einem 1257 oder 1263 in Augsburg abgehaltenen Predigtzyklus, in dem er „nicht nur eine Lobeshymne auf die Stadt, sondern […] gleichzeitig auch das städtische Ideal“ definiert. Seine darin ausgebreitete Auffassung der civitas und ihre Bestimmung in Hinblick auf die Wehrhaftigkeit, gemeinschaftliche Verfassung, einheitliche Rechtsordnung und Freiheit (propter munitionem, propter urbanitatem, propter unitatem et propter libertatem) wurde in der neueren Städteforschung als eine sich durch „einzigartige Fülle und konzeptuelle Vollständigkeit“ auszeichnende Theologie der Stadt gewürdigt. Die gelehrten Stadtforscher, Stadtökonome und Architekten Volker Roscher, Dieter Läpple und Bernd Gundermann heben als besonders interessant und aktuell v. a. den bei Albertus anzutreffenden Gedanken hervor, dass die beste Schutzmauer der Stadt so wie auch die Stadt selbst sich nicht aus Steinen, sondern aus lebendigen Menschen, aus Bürgern zusammensetzt. [...]


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