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Burkhard Conrad |
Politik – das Sakrament der Welt im Zeitalter der Demokratie |
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„Politik ist: Kampf.“ Der Satz von Max Weber stößt bei vielen Leserinnen und Lesern auf spontane innere Ablehnung. Er scheint das auszudrücken, was man an der Politik immer schon verachtet hat: ihre Streitlust, ihren Hang zum Antagonismus, ihre Machtspiele. Dabei steht außer Frage, dass Max Webers Aussage nicht eine Forderung im emphatischen Sinne der politisch-theologischen Rhetorik Carl Schmitts ist. Für diesen hat die Politik Kampf zu sein, wie er es in Der Begriff des Politischen formuliert. Dort spricht er von der „reale[n] Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muß, damit von Politik gesprochen werden kann“. Max Webers Intention ist gegenläufig. Ihm geht es nicht um ein normatives Sollen, sondern um eine Beschreibung des politischen Handelns, wie er es in seiner Lebenszeit als einen wesentlichen Charakterzug der Politik erfahren hat. Sein Satz ist das idealtypische Kondensat einer durchaus realen Erfahrungswelt.
Politik als Handlungsbegriff
Dabei liegt schon eine wichtige Einsicht des Weberschen Ausspruchs einfach darin, dass „Politik“ (wie letztlich auch „Wirtschaft“, „Kultur“, „Kirche“) ein Handlungsbegriff ist. Denn wer kämpft, der handelt. Politik kann zwar auch als ein besonderes Kommunikationssystem im Luhmannschen Sinne beschrieben werden. Dies sollte aber nicht die dahinter liegende Wirklichkeit verbergen, dass auch diese Systeme durch Handlungen aufrecht erhalten werden, und seien es auch vorwiegend verbale Interventionen, also Sprechhandlungen. Politik kann auch als eine Aufgabe aller Glieder der Gesellschaft im Sinne des Gemeinwohls verstanden werden. Doch auch in diesem Fall sollte nicht verkannt werden, dass ein Gemeinwohl nicht ohne die Handlungen unzähliger Menschen erreicht werden kann, deren Gemeinwohlvorstellungen in vielen Fällen miteinander konkurrieren werden. Die Einsicht, dass es sich bei „Politik“ um einen Handlungsbegriff handelt, führt zu der fast schon banalen Schlussfolgerung, dass Politik nicht ohne Menschen möglich ist, die sich politisch engagieren. Politik ist dort, wo politisch gehandelt wird, wo „menschlich echtes Handeln“ vorliegt. Dies tun die Vielen als „Gelegenheitspolitiker“, einige tun es aber auch als Berufspolitiker. Die Vielen sollten dabei die Möglichkeiten nicht gering schätzen, die ihnen in Demokratien das aktive und passive Wahlrecht bieten. Gleichzeitig sollten sie jene Frauen und Männer nicht verachten, die aus der Politik einen Beruf machen und sich damit dem Verdacht aussetzen, sie zögen einem bürgerlichen Beruf öffentliche Streitlust, Antagonismus und Machtspiele vor.
Weltliche Lobreden auf Politiker
Zuerst gilt es also, eine durch und durch weltliche Wertschätzung des politischen Handelns zuzulassen. Diesem Anliegen widmet sich unter anderem der finnische Politikwissenschaftler Kari Palonen. Im Gefolge von Max Weber und dessen Schrift „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919 – Palonen nennt die Schrift „eine Lobrede für Politiker“ – startet Palonen anhand von Quellen aus den letzten 150 Jahren den Versuch einer Rehabilitation der Politiker und ihres Berufs im Zeitalter der Demokratie. Dabei rühmt er an den Politikern all das, was andere Menschen für gewöhnlich abstößt. Hierzu zählt der gezielte Gebrauch von rhetorischen Überredungskünsten im parlamentarischen Betrieb, die Flüchtigkeit der Chancen und Möglichkeiten im Verlauf des politischen Alltags, die lebensweltliche Distanz zwischen dem Alltag eines Politikers und jenem eines normalen Bürgers.
Viele würden diese Punkte zu einer Politikerschelte verleiten. Palonen hingegen besteht darauf, die „Eigenart der Politikertätigkeit“ anzuerkennen und wertzuschätzen. Politisches Handeln umfasst nicht nur die großen, zeichenhaften Momente, die später in die Weltgeschichte eingehen. Es umfasst auch den kräftezehrenden, oftmals unsichtbaren politischen Arbeitsalltag. Palonen kommt zu der Feststellung: „Vor allem die Tätigkeit in Ausschüssen und anderen parlamentarischen Gremien außerhalb des Plenarsaals wird von politischen Laien regelmäßig unterbewertet oder bleibt gänzlich unbeachtet.“ Max Weber umschrieb diesen Alltag mit bekannten Worten: „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Nur in seltenen Fällen wird diese Beständigkeit und Beharrlichkeit aber öffentlich belobigt. Kari Palonen betont ebenfalls, dass sich politisches Handeln gerade dadurch auszeichnet, dass Politiker mit den ihnen gegebenen Chancen und Möglich keiten kreativ umzugehen wissen. In der Lesart Palonens sind Politiker nicht dafür da, einen mutmaßlichen Volkeswillen eins zu eins Wirklichkeit werden zu lassen. Ihr erstes Ziel ist es auch nicht, ein Wahlprogramm oder eine Koalitionsvereinbarung minutiös umzusetzen. Vielmehr müssen sie das Regelhafte des beruflichen Alltags mit spontanen Ideen und Eingebungen verbinden können. Die Tätigkeit der Politiker wechselt somit „zwischen Routine und Kreativität“ oder, wie es Hannah Arendt vielleicht ausdrücken würde, zwischen Alltag und „Wunder“. Als „leidenschaftliche Hingabe ist [diese Tätigkeit] auf die Veränderung der Welt hin orientiert“, so Palonen. Politiker geben sich also nicht damit zufrieden zu verwalten. Das ist Aufgabe der Bürokratie, welche von der Politik kontrolliert wird. Politiker tun mehr: Sie verändern, gestalten, formen. Dabei ist die Richtung dieses Veränderungswillens abhängig von der jeweils handlungsleitenden Weltanschauung. Die Überzeugung, etwas schaffen zu können und einen Beitrag leisten zu können, lässt Politiker letztlich auch darüber hinwegsehen, dass ihre Tätigkeit in der Öffentlichkeit meist mit wenig Wohlwollen begleitet wird.
Theologische Wertschätzung des politischen Handelns
Während Max Weber in seiner Wertschätzung des politischen Handelns noch ein gewisses Vertrauen in ein transzendentes Sinnfundament erkennen lässt, verweigert sich Kari Palonen jeglichen Sinnüberschusses bzw. kritisiert Weber in diesem Zusammenhang wegen dessen „konventionellem Politikverständnis“. Palonen lobt die Politik hingegen für das, was sie aus rein weltlicher (und aus seiner, d. h. Palonens) Sicht ist: das Engagement unzähliger Frauen und Männer zur fortwährenden Veränderung der Welt.
Der US-amerikanische Theologe Charles Mathewes dreht den Spieß um. Er lobt die Politik für das, was sie aus theologischer Sicht ist. Vor dem Hintergrund einer Relektüre ausgewählter Werke von Augustinus formuliert er eine Theologie des öffentlichen Lebens aus. Das Problem, das Mathewes umtreibt, ist die von manchen theologischen bzw. kirchlichen Stimmen propagierte Position, politisches Engagement ließe sich theologisch nicht wirklich rechtfertigen und der Einsatz als aktiver Bürger und Politiker sei daher eine rein persönliche Entscheidung. Dagegen argumentiert Mathewes: „Es wäre besser, würden sich die Kirchen direkt in die Gespräche einbringen, die das öffentliche Leben ausmachen. Sie sollten mittels gesättigter theologischer Begriffe der ganzen Gesellschaft eine umfassende Vision aufzeigen. Auf diese Weise würden sie eine Begründung für die Sinnhaftigkeit der Politik vorlegen, die das Engagement ihrer Kirchgänger im öffentlichen Leben als theologische, und nicht bloß als bürgerschaftliche Aufgabe unterstützt.” Und in noch dringlicheren Worten schreibt er: „Wir benötigen eine Theologie des öffentlichen Engagements, eine Theologie der Staatsbürgerschaft – die Vision einer Verbindung zwischen christlichem, innerweltlichem Engagement und dem himmlischen Königreich.“
Mitglieder der christlichen Kirchen – und genau diese spricht Mathewes im engeren Sinne an – müssen so bescheiden nicht sein, sondern können ihre Tätigkeit in der Öffentlichkeit als ein aus dem Selbstverständnis des Glaubens heraus geborenes Handeln verstehen. Wer sich politisch engagiert – als Gelegenheits- oder auch als Berufspolitiker –, sollte dieses Engagement nicht als eine rein weltliche Sache betrachten, sondern hat das Recht, es von einer spirituellen Motivation getragen zu wissen. Die Verbundenheit, die wir mit den Fragen der Welt zeigen, hat etwas mit der Verbundenheit zu tun, die wir gegenüber dem Transzendenten verspüren: „Unsere Liebe für die Welt ist außerweltlichen Ursprungs.“ Welt und Politik sind auf besondere Weise miteinander verknüpft. Ohne andere Handlungsbereiche des Menschen wie Wirtschaft und Kultur herabzuwürdigen, kann man von der Politik behaupten: Sie ist die Ausdrucksform der Welt. In ihr gibt sich die Welt oder ein weltlicher Herrschaftsbereich (im Englischen: „polity“) als das zu erkennen, was sie ihrem Selbst- und Fremdverständnis nach ist. Politik ist also die Selbstmitteilung der Welt an sich selbst bzw. an die vielen Menschen, die diese Welt mit ihrem Handeln gestalterisch schaffen und erhalten.
Von Augustinus her kommend weiß Mathewes aber auch um die Sündhaftigkeit und damit auch die Vorläufigkeit allen weltlichen Engagements. Er plädiert nicht für ein weltliches Reich Gottes auf Erden, wie es die „politischen Religionen“ (Eric Voegelin) im 20. Jahrhundert desaströs zu verwirklichen suchten. Zwischen dem weltlichen, politischen Engagement der Gläubigen und der Vollendung dieses Einsatzes steht der eschatologische Vorbehalt des christlichen Glaubens. Politik ist nicht selbst die Vollendung. Sie kann in ihrer unabgeschlossenen, zeichenhaften Art und Weise hinweisen auf den – theologisch gesehenen – letzten Sinn allen weltlichen Engagements. „Politisches Leben soll beunruhigend, nicht beruhigend, verstörend, nicht beschwichtigend, eine Pilgerschaft, keine Heimstätte sein.“ Politik wird also nie selbst für vollendete, perfekte Zustände sorgen können. Sie kann jedoch Zeichen setzen, die von einem zukünftigen Heil Zeugnis ablegen.
Politik – Sakrament der Welt
Selbstmitteilung, Zeichen: Begrifflichkeiten wie diese sind verräterisch. Sie lassen nämlich erkennen, dass politisches Handeln aus der hier präsentierten theologischen Sicht nicht als ein beliebiger weltlicher Kommunikations- oder Aktionsbereich zu verstehen ist. Es steht vielmehr in einem besonderen Verhältnis zu unserem Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnis. Es drückt nicht nur zeichenhaft aus, wie wir die Wirklichkeit unserer Welt sehen. In unserem politischen Handeln materialisiert sich das Sinn- und Wahrheitsverständnis, das unserem Tun und Denken vorangeht. Wir treiben Politik gemäß den Wirklichkeits- und Wahrheitsbildern, die wir mit uns tragen. Politik ist also „einer jener Bereiche des Lebens, in dem unsere Entscheidungen zeigen, wer wir sind”. Politik teilt mit, offenbart, bezeichnet und kommt daher in Besitz einer sakramentalen Qualität. Politik ist eine Schöpfung besonderer Art: „Gott nutzt geschaffene Dinge, um etwas jenseits wörtlichen Bedeutung der Dinge kundzutun. Das sagt etwas über die Sakramentalität der erschaffenen Wirklichkeit als solcher aus.”
Politik als sakramentales Handeln zu bezeichnen ist gewagt. Denn dies würde ja heißen, dass politisches Handeln ein sichtbares und wirkmächtiges Zeichen einer unsichtbaren und noch ausstehenden Heilswirklichkeit ist; dass es den offenbarenden Charakter einer Theophanie, einer Gottesbegegnung besitzt; und dass es ein Vorgeschmack auf das „Gastmahl des ewigen Lebens“ ist. Dabei verbindet man Politik, wie eingangs vermerkt, mit ganz und gar nicht erbaulichen Machtspielen. Vielmehr noch: Politiker werden in Geschichte und Gegenwart für Tyrannei, Krieg und Verwüstung verantwortlich gemacht. Sie werden eher mit dem Schlechten im Menschen in Verbindung gebracht, als mit einem die Wahrheit und das Gute offenbarenden Wesen. Da klingt es vermessen, in Bezug auf Politik von einer Sakramentalität zu sprechen.
Von daher ist eine Einschränkung vorzunehmen. So wie Kari Palonen nur dort von Politik spricht, wo demokratische Verhältnisse herrschen, so kann auch nur dort von der Politik als dem Sakrament der Welt gesprochen werden, wo politisches Handeln nach demokratischen Spielregeln abläuft. Zwar sagt unser Handeln in der politischen Öffentlichkeit immer etwas darüber aus, wie wir uns und die Welt verstehen. Doch nur dort kann im christlichen Sinne von einer Sakramentalität und einem wirkmächtigen Heilszeichen gesprochen werden, wo dieses Handeln grundsätzlich nach der Verwirklichung von Gerechtigkeit und Frieden durch Mitbestimmung strebt. Damit ist auch ausgesagt, dass die Demokratie berechtigterweise die aus christlicher Sicht bevorzugte Verfasstheit des politischen Systems ist.
In diesem Sinne kann man die „polity“ als einen Ort der Gottesoffenbarung umschreiben. Noch einmal Mathewes: „Der politische Bereich kann letztlich nicht als Ort der Theophanie ausgeschlossen werden”. Damit ist gemeint, dass trotz aller Sündhaftigkeit des Menschen auf individueller und kollektiver Ebene, es im Möglichkeitsbereich des demokratischen politischen Handelns liegt, die Wahrheit des christlichen Evangeliums zum Leuchten zu bringen. Auf den verschlungenen Wegen weltlicher Politik kann offenbar werden, was im Leben einer Gemeinschaft letztlich Sinn hat und zum Ziel führt. Wobei ein sakramental verstandenes politisches Handeln wie alle Zeichen und Offenbarungen nicht die angestrebte Wirklichkeit und Wahrheit selbst ist. Im Alltag des weltlichen Denkens und Handelns bleibt die Politik stets unvollständig und fehlerhaft, trägt in diesem aber stets die Möglichkeit der sakramental vermittelten Epiphanie mit sich. Nicht außerhalb des menschlichen Alltags erscheinen die Zeichen, die das göttliche Heil anzeigen, sondern diese sind mit dem täglichen Betrieb innig verwoben. Nur dort, wo Alltag und Außeralltägliches miteinander verbunden sind, kann das Sakramentale zum Tragen kommen.
Ein dominikanischer Blick auf die Sakramentalität von Politik Mit dem Dominikaner Yves Congar (1904–1995) sei noch ein weiterer Gewährsmann für dieses Verständnis des sakramentalen politischen Handelns aufgeführt. Dabei setzt sich Congar in seinem 1952 erschienenen Buch „Der Laie“ nicht explizit mit der theologischen Qualität des politischen Handelns auseinander. Ihm geht es vielmehr um einen „Entwurf einer Theologie des Laientums“, so der Untertitel der deutschen Ausgabe des Buchs aus dem Jahr 1956.30 In dieser Theologie des Laientums kommt subsidiär aber immer wieder das weltliche Engagement von Laien zur Sprache. Fast kann man sagen, dass „Laie“, „Welt“ und „Politik“ komplementäre Begriffe sind. Der eine („Laie“) verweist auf das Subjekt des Handelns, der zweite („Welt“) auf den Rahmen, in dem dieses Handeln zeitlich und räumlich stattfindet und der dritte („Politik“) auf den besonderen Modus des Handelns des Laien in der Welt.
Congar gewinnt seine Wertschätzung des weltlichen Engagements von Laien in der Welt in einem zeitgeschichtlichen Umfeld, in dem man innerhalb der katholischen Theologie erst damit begann, den Laien und ihrem Tun einen geistlichen Gehalt beizumessen. Congar wendet sich in „Der Laie“ gegen eine Haltung, welche einzig den Handlungen der hierarchischen, kirchlichen Amtspersonen theologischen Wert beimisst. Um diese Haltung zu überwinden, setzt Congar darauf, seine Theologie des Laientums de facto als eine Theologie der Kirche zu formulieren. Er schreibt: „Im Grunde genommen gäbe es nur eine vollgültige Theologie des Laientums: nämlich eine Gesamtlehre von der Kirche.“ Aus theologischer Sicht zeichnet der Laie sich also gerade nicht dadurch aus, dass er jenseits der Kirche agiert, sondern dass er bewusst als ein Mitglied der Kirche sich ins Spiel bringt. Dies tut er freilich auch jenseits der Orte, die man üblicherweise als Orte kirchlichen Lebens bezeichnet.
Doch wie kommt Congar dazu, das weltliche Engagement der Laien theologisch derart aufzuwerten? Congar macht klar, dass neben der Kirche und ihren Ämtern und Sakramenten auch der weltliche Herrschaftsbereich eine christologische Fundierung besitzt. Das heißt: Die Herrschaft des zur Rechten des Vaters erhobenen Christus erstreckt sich über die ganze Schöpfung, über ihren geistlichen, aber eben auch über ihren weltlichen Anteil. Die christologische Fundierung weltlichpolitischer Herrschaft ist nicht primär im Sinne eines Gottgnadentums zu verstehen, wie es im Mittelalter geschah. Sie bezieht sich nicht nur auf das politische Tun eines einzelnen Herrschers, sondern auf das ordnende und richtungsweisende Tun der Laien als solches. In der Welt haben die Laien Anteil an der Herrschaft, die Christus als König nicht nur über die Kirche, sondern über die ganze Schöpfung ausübt. Im Wortlaut Congars: „Wir halten daran fest, daß eine Teilnahme an der Königsherrschaft Christi vor seiner glorreichen Wiederkunft in zwei verschiedenen Linien stattfindet, von denen keine die andere verdrängt: als geistliche Autorität (…) in der Kirche, als weltliche Autorität in all dem, was die Ordnung dieser Welt angeht.“
Sowohl Kirche und Welt sind „Schöpfungen“, wie sich Congar ausdrückt, wobei jede ihren „Eigenwert“ und ihre „Eigengesetzlichkeit“ bewahren soll. Innerhalb dieser Schöpfungen – und vor allem in der weltlichen – ist es dem Laien möglich, selbst im ursprünglichen Sinne kreativ zu wirken. So kommt es durch die Laien in der Welt zu einer „Art spontaner Neuschöpfung des Evangeliums“. Diese Neuschöpfung treibt den Laien zu einer Weltverantwortung, die den von Max Weber beschriebenen politischen Kampf nicht verachtet, sondern in seinem zeichenhaften, offenbarenden und letztlich sakramentalen Charakter ernst nimmt. Über diese Verantwortung für die Welt auch im alltäglichen Ringen mit Widerständen schreibt Congar, und damit schließt sich der Kreis zu der eingangs angeführten Formulierung Webers: „Verantwortung übernehmen heißt zunächst Stellung beziehen: im Bereich der Familie, des Berufs, der Wirtschaft, des gesellschaftlichen, ja politischen Lebens. (…) Stellung beziehen heißt bereit zu sein, zu abweichenden Entscheidungen und Kräften in Opposition zu geraten und mithin Feinde zu haben. Stellung beziehen heißt, sich dem Kampf verschreiben.“
Fazit
„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20). Das Zitat aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien ist das frühe Beispiel einer sakramentalen Lebensauffassung. Paulus versteht sich als ein menschliches Zeichen christlichen Glaubens in einer heidnischen Umwelt. Dabei weiß Paulus auch um die Grenzen der eigenen Möglichkeiten (vgl. Röm 7, 19).
Politik als Sakrament der Welt bedeutet, dass im Handeln von Politikerinnen und Politikern die Gegenwart Jesu Christi erfahrbar wird. Dies geschieht nicht dadurch, dass sie aus eigener Gerechtigkeit heraus Gerechtigkeit schaffen. Politisches Handeln ist nur dann ein wirkmächtiges Zeichen einer noch ausstehenden Wirklichkeit, wenn Politiker sich mit ihren Schwächen und Fehlern, aber auch mit ihrem Willen Gutes zu tun in das politische Spiel und den Kampf um die Macht einbringen. Dabei vertrauen sie darauf, dass in ihrem Handeln etwas von dem offenbar wird, das Gott durch Jesus Christus und im Heiligen Geist für die Welt an Heil letztlich bereiten wird.
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