archivierte Ausgabe 4/2018 |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/wua.2018.4.156-162 |
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Irmtraud Fischer |
Zur Visualisierung des Weiblichen im Jesajabuch |
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Ungeachtet dessen, dass alle Schriftpropheten unter männlichen Eigennamen überliefert und in der Rezeptionsgeschichte charismatischen Männern zugeschrieben wurden, gibt es gerade in Jesaja Gründe zur Annahme, dass auch Frauen einige der in diesem Buch gesammelten Texte verfasst haben könnten. Obwohl dieses Prophetenbuch fast keine Frauen namentlich benennt, ist es in seiner metaphorischen Rede überaus reich an weiblichen Personifikationen und Bildern aus dem Bereich der weiblichen Biologie, die auf eine weibliche Innensicht verweisen. Dieser Beitrag beschäftigt sich nicht mit den ohnedies immer hypothetischen Fragen von Verfasserschaft, sondern mit der vielfältigen Visualisierung des Weiblichen in diesem durch Jahrhunderte gewachsenen prophetischen Buch.
Einige wenige namenlose Frauen
Wie fast alle Bücher der Schriftprophetie erwähnt auch das Jesajabuch keine einzige zeitgenössische Frau mit Namen, wenngleich betont werden muss, dass auch nur wenige Männer namentlich genannt werden. Die wenigen Frauenfiguren, die in erzählenden Passagen auftreten, werden aufgrund ihrer Funktion eingeführt: Die junge Frau in Jes 7,14, die die Septuaginta ausdeutend als „Jungfrau“ übersetzt, und die als solche ab der neutestamentlichen Deutung auf Maria Theologiegeschichte geschrieben hat, ist wahrscheinlich eine Frau aus dem Harem des König Acha. Sie ist die Mutter Immanuels, der von vielen als Thronname des späteren Königs Hiskija gedeutet wird.
Zudem ist von einer Prophetin die Rede, zu der nach 8,3 Jesaja geht, von der jedoch nicht gesagt ist, dass sie seine Frau sei. Ihr Kind Maher-Schalal-Hasch-Bas trägt wie der Jesajasohn Schear-Jaschub einen Verkündigungsnamen. Diese beiden, wie auch die verheißenen Kinder in Jes 9 und Jes 11, sind jeweils männlichen Geschlechts. Die Geburt von Mädchen wird im ganzen AT nie verheißen, was wohl nicht primär mit der Geringachtung von Frauen in patriarchalen Gesellschaften zu tun hat, sondern vielmehr damit, dass die Stammbäume über die männlichen Nachkommen geführt werden. Söhne verbleiben zudem in einer virilokalen Eheform in der Familie, während die Töchter bei Heirat ihre Herkunftsfamilie verlassen.
Die geschlechtsspezifischen Drohworte in Jes 3 haben wohl auch konkrete Persönlichkeiten der Königszeit im Blick, wenngleich weder die gescholtenen Männer (3,1–15) noch die Frauen der Oberschicht (3,16–26) namentlich genannt werden, sie aber allesamt wegen Korruption, Machtmissbrauch und Ausbeutung angeklagt werden. Das geschlechtsspezifisch gestaltete „Diptychon“ gibt dabei tiefe Einblicke in männliche wie weibliche Eitelkeit (V16–24 ist die umfangreichste Aufzählung von luxuriösen Accessoires in der Bibel), die zum Schaden des Volkes „kultiviert“ wird.
Die Tradition: fast ausschließlich männlich
Wenn im Jesajabuch auf bedeutende Figuren der Glaubenstradition Israels verwiesen wird, sind es wiederum überwiegend Männer wie Noah (54,9), Abraham (29,22; 41,8; 51,2; 63,16), Jakob/Israel (58,14; 63,16 neben der häufigen Bezeichnung des Volkes als Jakob/Israel), Mose (63,11f.) und David (9,6; 16,5; 38,5; 55,3 neben der häufigen Bezeichnung für Königshaus und -stadt). Eine einzige Frau mischt sich in diese Männerwelt und dieser Vers liefert auch gleich den Schlüssel für das Verständnis der übrigen Texte: in Jes 51,2a werden die Hörenden angewiesen, „auf Abraham, euren Vater, und Sara, die euch gebar“, zu blicken, um sodann in V2b ausschließlich in der grammatikalisch männlichen Singularform fortzufahren: als einzelner sei er berufen worden und zahlreiche Nachkommen wurden ihm geschenkt. Der Patriarch steht offenkundig auch für seine Frau, bei allen männlichen Figuren sind demnach deren Frauen nachzutragen, bei Mose wohl die Schwester Mirjam (vgl. Mi 6,4). Als mythologische Frau – oder vielleicht besser charakterisiert als Wüstendämon – findet Lilit in Jes 34,14 Erwähnung, wo ihr im von JHWH zerstörten Edom Ruhe verheißen ist. [...]
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