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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2017.1.17-22
Sándor Fazakas
Ungarischer Protestantismus für eine bessere Welt
Ungarn befindet sich nach wie vor in einem ambivalenten Zustand zwischen Kontinuität und Umbruch. Die mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegenden Entwicklungen haben gezeigt, dass die anfängliche theoretische und enthusiastische Überzeugung, dass ein autoritäres politisches System wie der Kommunismus endgültig der Vergangenheit angehört, einem nüchternen Pragmatismus gewichen ist.

Ambivalente Transformationsprozesse in der Gesellschaft


Der Übergang von einem totalitären System zu einer freiheitlichen Demokratie lässt sich, sowohl in Ungarn als auch in weiteren mittel-osteuropäischen Gesellschaften, anhand drei konträrer Merkmale charakterisieren: durch einen selektiven Umgang mit der eigenen Vergangenheit und durch die Eröffnung einer unbegründeten Zukunftsperspektive für die Bürger1, neuerdings durch den Versuch der Politik, auf Unsicherheitsgefühle und Zukunftsängste der Gesellschaft angesichts der vielfältigen Krisensituation in der heutigen Welt und in Europa (vom Finanzen- und Schuldenkrise bis zur Flüchtlingskrise) eine Antwort zu geben.

Die Unterlassung einer umfassenden Vergangenheitsaufarbeitung stand seit der Wende 1989/90 unter dem Diktat der Bewahrung der nationalen Einheit, des gesellschaftlichen Friedens, nicht zuletzt der Gewährleistung einer kontinuierlichen Funktion des Staatsapparates und des öffentlichen Lebens, all dies im Blick auf die weitere Entwicklung des Landes. Eine zu lange oder zu intensive Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der Vergangenheit wurde eher als Belastung empfunden. Die Suche nach mehr Gerechtigkeit, die Sehnsucht nach juristischer, wissenschaftlicher und geistiger wie geistlicher Aufarbeitung der Vergangenheit sowie das Bemühen um eine angemessene Erinnerungskultur erwies sich aus der Sicht eines friedlichen Übergangs vom Sozialismus zur freien Marktwirtschaft als irrelevant (oder als zu gefährlich). Übrig blieb ein selektiver Umgang mit der Geschichte im Dienste aktueller politischen Interessen: das heißt, es wurden und werden immer noch nur diejenigen Aspekte aus der Geschichte hervorgehoben, die die eigenen politisch-gesellschaftlichen Interessen legitimieren, diejenigen der Gegner aber zu delegitimieren imstande sind.

Das zweite Merkmal schließt unmittelbar an diesen Übergang an: Durch die Einführung marktwirtschaftlicher Verhältnisse erhofften sich nicht wenige Bürger die Verbesserung ihrer eigenen materiellen Situation auf das Niveau eines Wohlstands westlicher Art. Innerhalb weniger Jahre erwiesen sich aber dieser Erwartungen als unhaltbar. Die Begleiterscheinungen wirtschaftlicher Umwälzungen (wie Arbeitslosigkeit, Kostenexplosion, Inflation, Korruption), das andauernde Wirtschaftsgefälle zwischen den östlichen und westlichen Teilen Europas, das neu entstandene massenhafte soziale Elend und die neuere Migrationswelle in Richtung wohlhabender Gesellschaften haben zu bitteren Enttäuschungen und oft auch zu Nostalgie und zu einer Sehnsucht nach der alten sozialen Sicherheit geführt.

Angesichts der derzeitigen Flüchtlingskrise und den entsprechenden Lösungsvorschlägen der europäischen Institutionen versuchen Politiker, über Maßnahmen für effizienteren Grenzschutz oder den Streit über Verteilquoten und beschleunigte Asylverfahren hinaus, nicht nur ihre eigene Position oder Machtverhältnisse2 zu stärken, sondern sie trachten danach, eine einheitliche gemeinsame Identität und eine verbindliche Moral für die Bürger zu erreichen. Dies kann aber allein mit der Wahrnehmung und Anwendung des eigenen Gewaltmonopols nicht gelingen. Die Politik ist auf weitere Mittel angewiesen, um mit Zustimmung und Gehorsam der Menschen rechnen zu können, auf Instrumente der Bildung, der Erziehung, der Kommunikation und der Überzeugung, welche indes in den Bereich von Weltanschauung, Religion und Moral gehören. Deshalb liegt die Gefahr auf der Hand, dass die Politik versucht, auf die anderen gesellschaftliche Institutionen Einfluss nehmen zu wollen – das Ergebnis wäre aber nicht nur weitere Verunsicherung, sondern Politikverdrossenheit, die vertiefte Glaubwürdigkeits- oder Legitimationskrise öffentlich-rechtlicher Institutionen sowie die Überpolitisierung des privaten Bereichs (inkl. des Familienlebens und der sozialen Kommunikation).

Die veränderte Rolle der Kirchen in der Gesellschaft


In den geschichtlichen Umbruchs- bzw. Krisensituationen im mittel-osteuropäischen Raum ist die Rolle der Kirchen aufgewertet worden. Das zeigte sich nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, zur Zeit des ungarischen Volksaufstandes 1956 und nach der Wende 1989/90. Einerseits findet sich die Kirche in solchen historischen Übergangssituationen vor die Frage gestellt, wie und auf welche Weise sie an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens teilnehmen kann, besonders, wenn sie lange Zeit von den sozialen Anliegen zurückgedrängt wurde und nur noch mit dem gottesdienstlichen Leben in den eigenen Kirchenmauern zu tun gehabt hat; andererseits stellt die Gesellschaft hohe Erwartungen an die Kirchen. Der Grund dieser Erwartungen lag und liegt darin, dass die ideologischen und staatlichen Sinnstiftungen der Jahrzehnte vor der Wende (sowohl der braunen wie der roten Diktatur) zu Enttäuschungen geführt haben. Christliche Werte erscheinen vielen angesichts der Alltagserfahrungen als unverbrüchliche Prinzipien, die einen Ausweg aus der Krise der Gesellschaft weisen können. Die Kirche erschien in dieser Auffassung als die einzig glaubwürdige Institution, die einerseits eine Kontinuität mit der europäischen Geschichte und Kultur herstellt, andererseits die Chance bietet, nach dem Absterben einer Ideologie moralische Orientierung für die neue Entwicklung geben zu können. [...]


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