archivierte Ausgabe 2/2020 |
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Leseprobe 3 |
DOI: 10.14623/wua.2020.2.81-86 |
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Otto Friedrich |
Katholische Kirche und Gesellschaft – ein österreichisches Verhältnis |
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Das Verhältnis von katholischer Kirche und Gesellschaft in Österreich ist Anfang 2020 nicht leicht zu beschreiben – und vermutlich wie in anderen europäischen Situationen als sehr komplex und uneindeutig zu verstehen. Zusätzlich fußt es auf einer spezifischen Zeitgeschichte, die zwar nicht unabhängig von Entwicklungen in vergleichbaren Ländern verläuft, aber doch eigene Besonderheiten aufweist. Nachstehende, durchaus persönliche Beobachtungen und Schlussfolgerungen aus der Perspektive eines langjährigen Religionsjournalisten in Österreich mögen als Hinweise zur Lage dienen – und keineswegs den Anspruch einer umfassenden Darstellung erheben.
Der aktuelle religionssoziologische Befund
Auch wenn Österreich landläufig als ‚katholisches‘ Land gilt, sprechen die aktuellen Zahlen der Religionszugehörigkeit durchaus eine andere Sprache. Nimmt man die Ära des Wiener Kardinals Christoph Schönborn, der heuer sein 25-jähriges Amtsjubiläum begeht und der Ende Jänner 2020 seinen 75. Geburtstag gefeiert hat, so ist diese von einem markanten Rückgang der Katholikenzahlen geprägt: Während 1995, zu Schönborns Amtsantritt, die kirchliche Statistik noch knapp über sechs Million Katholiken (76 Prozent der Gesamtbevölkerung) zählte, so wurde 2019 die Fünf-Millionen-Grenze bei der Katholikenzahl erstmals unterschritten (56 Prozent der Gesamtbevölkerung). Im gleichen Zeitraum nahm die Bevölkerungszahl in Österreich von 7,8 auf 8,8 Millionen zu. Und der sonntägliche Messbesuch ging in dieser Zeit von 18 auf beinahe zehn Prozent zurück. Die nächstgrößte christliche Konfession stellen die Evangelischen (Lutherische und Reformierte zusammen) mit knapp unter 300.000 Mitgliedern (3,3 Prozent der Gesamtbevölkerung).
Die zweitgrößte Gruppe machen die Konfessionslosen aus, die etwa ein Viertel der Bevölkerung stellen, gefolgt von den Muslimen, die eine Schätzung von 2016 mit bis zu 700.000 angibt, sowie die Orthodoxen mit bis zu 500.000. Die Zahl der Orthodoxen nahm im Zuge der Balkankriege in der 1990er Jahren stark zu, die Zahl der Muslime stieg seit der Gastarbeitermigration kontinuierlich an. Beide Angaben sind allerdings nicht wirklich mit den Zahlen der christlichen Kirchen vergleichbar, weil letztere die formelle Mitgliedschaft wiedergeben, während bei den Muslimen und Orthodoxen die Religionszugehörigkeit oder Religionsaffinität nur geschätzt werden kann.
Allerdings gibt die skizzierte Statistik schon ein grundsätzliches Bild des religiösen Transformationsprozesses, von dem auch Österreich massiv betroffen ist. Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak bewertete die aktuellen Zahlen in einem Interview mit der Nachrichtagentur Kathpress als einen Ausdruck von „Normalisierung in einer religiös pluraler werdenden Gesellschaft“. Polak, die auch an der Europäischen Wertestudie, die eine kontinentale Langzeitbeobachtung des gesellschaftlichen Wandels darstellt, mitarbeitet, sieht ebendiese Studie auch durch die aktuelle kirchliche Statistik in Österreich bestätigt. Nach den Worten Polaks findet aber auch in Österreich hinsichtlich der demografischen und religionssoziologischen Entwicklung eine „tektonische Plattenverschiebung“ statt: Immer mehr junge Menschen hätten ein indifferentes Verhältnis zu Religion und Kirche. Religion habe für sie immer weniger Lebensrelevanz. Im Segment der jungen, ungebildeten und sehr gut gebildeten Männer nehme eine Art von Atheismus mit einer starken religionsfeindlichen Komponente zu. Dies treffe zum Teil auch bei jungen gebildeten Frauen zu. Polak: „Derzeit sind diese Stimmen noch nicht so laut hörbar, aber das wird sich mittelfristig ganz deutlich zeigen.“ Diese Entwicklung betrifft aber, das ist nicht nur der Befund der Pastoraltheologin Polak, grundsätzlich alle Kirchen und Religionen.
Dass der Einfluss der katholischen Kirche in Österreich aufgrund der demografischen und soziologischen Entwicklung abnimmt, ist somit eine – wenig überraschende – Tatsache.
Ein Blick auf Entwicklungen seit dem II. Vatikanum
Dennoch ist bei einer Analyse der gesellschaftlichen Relevanz der katholischen Kirche in Österreich auch ein (zeit)historischer Blick nötig. Denn nicht alles lässt sich durch Demografie und/oder Säkularisierung erklären. [...]
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