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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2017.3.122-129
Benedikt Jürgens
„Je weiter man nach Norden kam …“
Demut – eine Tugend für das Management?
In einem Interview mit den Journalisten Barbara Nolte (Tagesspiegel, Die Zeit, Magazin der Süddeutschen Zeitung) und Jan Heidtmann (Magazin der Süddeutschen Zeitung) behauptet der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Heinrich von Pierer, „dass auch in einer Spitzenposition eine Demutshaltung hilfreich ist.“ Er illustriert das anhand seiner Erfahrungen mit Energieversorgungsunternehmen, für die Siemens Kraftwerke baut. Diese Gespräche mit seinen Kunden waren – so von Pierer – für ihn in der Regel nicht erfreulich: „Immer war irgendwas bei uns nicht in Ordnung. Wenn Sie ein Kraftwerk bauen, gibt es immer irgendetwas, was nicht auf Anhieb klappt. Das ist eben komplex. Im Zweifel waren wir im Zeitverzug. Und dann werden Sie auch nach allen Regeln der Kunst beschimpft. Und wehe, Sie widersprechen. Je weiter man nach Norden kam, desto demütiger musste man sich geben. Da habe ich viel gelernt.“ Und auf die Frage, wie er denn die Kunden beschwichtigt habe, antwortet der Manager: „Man sitzt da, senkt den Kopf – das konnte ich als Vorstandsvorsitzender auch gut.“

Der Regel des heiligen Benedikt zufolge bringt auch der Mönch mit dieser Körperhaltung seine demütige Haltung zum Ausdruck. Wenn Demut durch das Neigen des Hauptes körperlich sichtbar wird, hat der Mönch die höchste der insgesamt 12 Stufen der Demut erreicht: „Die zwölfte Stufe der Demut: Der Mönch sei nicht nur im Herzen demütig, sondern seine ganze Körperhaltung werde zum ständigen Ausdruck seiner Demut für alle, die ihn sehen. Das heißt: Beim Gottesdienst, im Oratorium, im Kloster, im Garten, unterwegs, auf dem Feld, wo er auch sitzt, geht oder steht, halte er sein Haupt immer geneigt und den Blick zu Boden gesenkt. Wegen seiner Sünden sieht er sich zu jeder Stunde angeklagt und schon jetzt vor das schreckliche Gericht gestellt.“

Einer der bedeutendsten deutschen Manager auf dem Gipfel der monastischen Tugend? Phänotypisch scheint es ja zu passen. Indem er den Kopf neigt, demonstriert von Pierer Bescheidenheit, vielleicht sogar Unterwürfigkeit, jedenfalls ordnet er sich als Dienstleister dem Auftraggeber unter. Er signalisiert, dass ihm klar ist, wer in dieser Situation das Sagen hat und dass er die „Hackordnung“ akzeptiert. Und ist nicht auch der Hinweis auf die Sünden und die Angst vor dem „schrecklichen Gericht“ bei Benedikt eine Parallele zum Respekt Heinrich von Pierers vor seinen anspruchsvollen und kritischen Kunden? Es bleiben Zweifel, irgendwie scheint das nicht zusammen zu passen. Wie geht es weiter, wenn man als Manager vor dem aufgebrachten Kunden sitzt und den Kopf senkt? Mit einem reuevollen Sündenbekenntnis? Nicht ganz:

„Man wartet ab und wendet dann die indirekte Methode an. Eines der Seminare bei Siemens, bei denen ich wirklich etwas gelernt habe, hielt Wolfgang Salewski, der damals in Mogadischu mit den RAF-Terroristen verhandelt hat. Salewski sagt: Wen einer mit Ihnen auf Konfliktkurs geht, sagen Sie nie Nein, sondern geben Sie ihm erst einmal das Gefühl, dass Sie ihn ernst nehmen. Lassen Sie ihn reden. Dann müssen Sie irgendwann anfangen, Fragen zu stellen. Sie haben ja nicht ewig Zeit.“ In diesem konkreten Fall ist die Demutshaltung für von Pierer keine Tugend, die einen Wert „in sich“ hätte, sondern Mittel zum Zweck und Teil einer Strategie. In den Reklamationsgesprächen zeigt er Demut, um sein Ziel zu erreichen: die Beschwichtigung des aufgebrachten Kunden. Und die Herkunft der „indirekten Methode“, die er mit seiner Demutshaltung verbindet und gegenüber den anspruchsvollen Energieversorgern anwendet, spricht ebenfalls Bände: Sie stammt aus den Verhandlungen mit Terroristen. Spätestens hier wird die Ambivalenz der zur Schau getragenen Demut deutlich, die für den Top-Manager ein strategisches Mittel ist, um einen Gegner zu bezwingen.

Anforderungen an Top-Manager


Ist Demut eine Tugend für das Management? Unter dieser Fragestellung lassen sich auch die übrigen Interviews lesen, die Barbara Nolte und Jan Heidtmann mit insgesamt elf Managern unter dem Eindruck der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers im Jahre 2008 und der damit verbundenen Finanzkrise geführt haben. Diese Manager (unter ihnen mit Margret Suckale immerhin eine Frau) haben bzw. hatten Mandate für die ehemaligen Staatsunternehmen Deutsche Bahn (Hartmut Mehdorn und Margret Suckale, jetzt BASF), Deutsche Post (Frank Appel) und Deutsche Telekom (Kai-Uwe Ricke und René Obermann), für die Banken Deutsche Bank und WestLB (Thomas R. Fischer) sowie Goldman Sachs (Alexander Dibelius) und für die Industrieunternehmen BASF (Jürgen Hambrecht), Continental (Hubertus von Grünberg), Evonik (Werner Müller) und eben Siemens (Heinrich von Pierer). In den Interviews sprachen die Chefs über folgende Herausforderungen, denen sie sich stellen mussten: Transformation vom Staatsunternehmen zum modernen Dienstleister, Neugründung eines Konzerns, Bewältigung der Finanzkrise, Bekämpfung von Indiskretion und Korruption sowie Aufarbeitung von internen Bespitzelungsaffären, Bewältigung einer feindlichen Übernahme, Umgang mit Streiks und Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. An dieser Aufzählung lässt sich bereits erahnen, welchen immensen Anforderungen Top-Manager ausgesetzt sind. Dabei gibt es durchaus Situationen, die auch von den Chefs als Zumutung erlebt werden. Außer Heinrich von Pierer spricht jedoch kein weiterer Manager explizit von „Demut“. Und dennoch sprechen sie Situationen und Anforderungen an, in denen so etwas wie Demut von ihnen verlangt wird.

Demütigende Situationen

So haben einige Interviewpartner demütigende Situationen erfahren. Zum Beispiel Heinrich von Pierer selbst, der von seinem Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG zurücktrat, nachdem bekannt geworden war, dass Siemens im Ausland Bestechungsgelder in Milliardenhöhe gezahlt hatte. Kai-Uwe Ricke musste seinen Job als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom auf Druck des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel nach einer Gewinnwarnung im November 2006 aufgeben, obwohl er noch zu Beginn desselben Jahres das beste Ergebnis des Konzerns präsentieren konnte. Für Thomas R. Fischer war der schwierigste Tag seiner Karriere der, als er nach Fehlspekulationen als Vorstandsvorsitzender die WestLB verlassen musste. Eine Erniedrigung, wie sie das monastische Demuts-Konzept vorsieht, hat er sich jedoch erspart. Wie die anderen „gedemütigten“ Manager auch, zeigt er im Gegenteil eine heroische Haltung. Während Kai-Uwe Ricke dabei eher schmallippig reagiert: „Lassen wir das. Was halten wir uns damit auf? Es spielt keine Rolle mehr“, wird Thomas R. Fischer ausführlich: „Wasser ist nass. Sie können doch nicht Millionen verdienen und dauernd davon reden, dass das ein Ausgleich für das Risiko ist, und sich dann in die Hosen machen, wenn ein Risiko kommt. Das geht doch nicht, oder?“ Gerade in einer solchen Situation komme es darauf an, seine Würde zu wahren: „Indem sie nicht wehleidig werden, nicht wimmern, sondern den Kopf hochhalten, denjenigen, die das verbrochen haben, in die Augen sehen und sagen: Ich weiß, warum Sie das machen. Was Sie sagen, ist alles Mumpitz. Machen Sie, was Sie machen müssen. Ich mache, was ich machen muss. Ich übernehme die politische Verantwortung. Ich gehe hier nicht als geprügelter Hund raus, damit das mal klar ist. Ich war nicht blass, habe sogar eine Rede gehalten. Da bin ich begnadet von der Natur. Sie haben an einem solchen Tag keine Zeit, bitter zu sein. Sie sind auf der Bühne: müssen funktionieren. Sie müssen Haltung bewahren. Es war nicht der Moment auszurasten. Das passte alles nicht.“

Einsamkeit

Die Manager berichten davon, dass ihre Rolle sie einsam macht. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie wenig Zeit haben und zweckfreies geselliges Zusammenleben erschwert ist. Auf die Frage, worauf er verzichtet hat und was er gern gemacht hätte, antwortet Hartmut Mehdorn: „Mal in die Kneipe gehen und mit Kumpels Skat spielen, zum Beispiel“. Auch Kritik macht einsam und wird als verletzend wahrgenommen – auch von Hartmut Mehdorn: „Ich denke über die Dinge mehr nach, als es nach außen den Anschein hatte. Und wenn ich so wirkte, als ob mich die Kritik nicht berührt hätte, dann ist das auch falsch. Ich zeige das nicht. Es wird mich nie einer dazu kriegen, dass ich ein bedrücktes Gesicht nach außen trage. Das freut nur die Falschen.“ Dass man die mit Kritik verbundenen Verletzungen schnell überwinden muss, bestätigt auch Margret Suckale: „Ich bin auch nur ein Mensch. Wenn jemand mir etwas vorwirft, was ich ungerecht finde, dann bin ich nicht beleidigt, ich würde eher sagen: enttäuscht. Aber man kommt mit zunehmender Erfahrung schnell darüber hinweg. Man darf auch mal sagen, dass man enttäuscht ist, aber man darf es natürlich nicht kultivieren und dann dauerbeleidigt sein. Das geht nicht. In einem komplexen Unternehmen, in dem schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, tritt jeder einem anderen schon mal auf den Fuß. Das lässt sich kaum vermeiden.“ Einsam machen auch der Entscheidungsdruck und die damit verbundene Notwendigkeit, „nein“ zu sagen: „Jeder, der zu Ihnen kommt, will etwas von Ihnen. Jeder will eine Entscheidung, die ihm hilft. Sie müssen aber Entscheidungen ganzheitlich treffen, sodass sie für das ganze Unternehmen richtig sind. Das heißt, dass Sie viel öfter ‚Nein‘ sagen müssen, als Sie das selber wollen“ (Hartmut Mehdorn). Einen ähnlichen Effekt haben auch Mitarbeitergespräche, die nicht immer dazu führen, dass man sich beliebt macht, wie wiederum Margret Suckale schildert: „Motivierende Mitarbeitergespräche sind einfach. Schwierig ist, wenn man jemandem sagen muss, Sie haben nicht die Leistung gebracht, die wir uns vorgestellt haben; Sie werden die Position nicht bekommen, die Sie sich vorgestellt haben.“

Disziplinierung

Das Leben von Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsräten ist davon geprägt, extrem stark durch Termine, standardisierte Prozesse und Rollenerwartungen diszipliniert zu werden. Kai-Uwe Rickes Terminkalender „war auf Monate durchstrukturiert“. Die Tagesabläufe sind geprägt vom permanenten, eng getakteten Wechsel zwischen Dienstreisen und Büroaufenthalten und verschwimmenden Grenzen zwischen der beruflichen und privaten Sphäre. Das wird am Tagesablauf von René Obermann deutlich: „Wie sah ihre Woche aus? Am Sonntag war ich in Finnland, Montagmittag kam ich zurück, dann am Dienstagabend in die USA, Donnerstagmorgen zurück. Und gestern hatten wir eine Veranstaltung in Berlin, da bin ich noch hierher geflogen. Ist das eine normale Woche für Sie? So ziemlich. Ich bin vielleicht die Hälfte der Zeit im Büro, die andere unterwegs. Gestern konnte ich nur wegen der Zeitverschiebung nicht einschlafen, ich bin ziemlich übermüdet. Wie viele Stunden arbeiten Sie? 60, 70 Stunden. Manchmal auch 80. Es kommt darauf an, was man als Arbeit bezeichnet. E-Mails am Abend zwischen zehn und elf – ist das Arbeit, wenn parallel die Nachrichten laufen? Ist ein Abendessen mit Leuten, mit denen man übers Geschäft redet, Arbeit? Oder ist Fahrzeit Arbeit? Dann, würde ich sagen, sind es 80 Stunden.“ Der Termindruck lässt kaum noch Raum für Lust als Arbeitsmotivation: „Kennen Sie nicht das Gefühl, einfach keine Lust zu haben? Dass einen das vollkommen lähmt? Sie haben die Termine, dazu den Druck, die Dinge voranbringen zu müssen. Das ist dann keine Frage der Lust mehr. Lust ist die beste Motivation. Das ist idealtypisch so, da haben Sie Recht. Aber leider entspricht es nicht immer dem Leben“ (René Obermann).

Doch nicht nur durch Termine sind die Chefs gezwungen, sich zu disziplinieren. Es sind auch vorgegebene, standardisierte Prozesse, an die sich (auch) die Top-Manager halten müssen. René Obermann berichtet beispielsweise davon, wieviel Geduld bei der Umsetzung von Ideen benötigt wird: „Gibt es solche Momente noch: Sie haben eine Idee, und wenig später wird die umgesetzt? Vielleicht wenn sich unerwartet aus einem Abendessen mit einem Kunden etwas ergibt. Dann rufe ich meinen Kollegen an, wenn er noch erreichbar ist, oder schicke ihm eine E-Mail und berichte davon, auch gerne um zehn, elf Uhr abends. Was passiert dann? Wenn das auf die Vorstandsagenda gehört, dokumentiere ich das Thema für mein Büro. Dann kommt es bei uns auf den so genannten ‚Monitor‘ und wird in Wiedervorlagesysteme eingegeben. Das klingt wie das langsame Sterben einer Idee. Nein, es ist Systematik, anders geht es in einem so großen Unternehmen nicht. Aber es ist eher selten, dass ich spontane Ideen habe, die gleich am nächsten Tag zu einem Produkt oder zu einer Initiative führen. Es geht mehr darum, Projekte wie zum Beispiel die Zusammenlegung des Mobil- oder Festnetzgeschäfts anzuschieben. Bis so etwas gemacht ist, alle Analysen, Diskussionen, Beschlüsse, und bis das schließlich umgesetzt ist, liegen manchmal Jahre dazwischen.“

Schließlich ist es die Rolle, die Managern sehr viel Disziplin abverlangt. Margret Suckale spricht auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit dem großen Bahnstreik im Jahr 2007, bei dem sie die Position der Deutschen Bahn als Gegenpart zum Gewerkschafts-Chef Manfred Schell in der Öffentlichkeit vertreten musste, die damit verbundenen Zumutungen an: „Es ist schon eine große Belastung, in der Öffentlichkeit zu stehen, gerade auch für die Angehörigen. Da steht man im Feuer.“ Die Rolle eines Vorstandsvorsitzenden ist zwar durchaus mit großen Gestaltungsmöglichkeiten und mit Macht verbunden, absorbiert aber auf der anderen Seite die Persönlichkeit, wie Kai-Uwe Ricke deutlich macht: „Ich weiß nicht, ob Sie sich an die Ereignisse von damals erinnern: Nachdem Ron Sommer weg war, wurde ein externer Kandidat nach dem anderen zerschossen. Als ich damals merkte, dass ein Vertrauensverhältnis zum damaligen Interimschef entstand, da reizte es mich. Nicht wegen der Macht, sondern wegen der Gestaltungsmöglichkeiten, die ich mir vom Vorstandsvorsitz versprach. Ich habe mich dann auch voll reingehängt. Doch im Nachhinein merke ich: Ich war in eine Struktur hineingeraten, die sehr schnell Besitz von mir ergriff.“ Für den ehemaligen Telekom-Chef hatte die Macht einen hohen Preis – die Freiheit: „Sie wollten unbedingt an die Spitze. Ja, weil ich gedacht habe, da bist du frei. Man ist aber nicht frei. Ich war in meinem Leben noch nie so unfrei wie in den letzten Jahren bei der Telekom. Haben Sie Freiheit mit Macht verwechselt? Das ist es. Freiheit heißt, unabhängig zu sein. Wenn man das geschafft hat, geht es einem gut.“

Die bisher beschriebenen Anforderungen und die damit verbundenen Reaktionen verdeutlichen, wie Manager mit Zumutungen umgehen. Das Aushalten von erniedrigenden Situationen, Einsamkeit und Disziplinierungsdruck kennt auch das Demutskapitel der Benediktsregel: „Die vierte Stufe der Demut: Der Mönch übt diesen Gehorsam auch dann, wenn es hart und widrig zugeht. Sogar wenn ihm dabei noch so viel Unrecht geschieht, schweigt er und umarmt gleichsam bewusst die Geduld. Er hält aus, ohne müde zu werden oder davonzulaufen, sagt doch die Schrift: ‚Wer bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.‘ Ferner: ‚Dein Herz sei stark und halte den Herrn aus.‘“ In diesem Sinne zeigen die interviewten Manager durchaus Demut, auch wenn sie es nicht so nennen und eine religiöse Dimension in ihren Verarbeitungsstrategien nicht zu erkennen ist.

Bescheidenheit als Mittel zum Zweck


Aber es gibt auch Anforderungen, die mit der eingangs von Heinrich von Pierer beschriebenen Situation vergleichbar sind, bei denen mit Demut verbundene Haltungen gezielt eingesetzt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen. So betont Thomas R. Fischer die Notwendigkeit von Bescheidenheit und Selbst-Zurücknahme, wenn man gut ankommen will: „Und wie setzt man sich denn mit einem Ministerpräsidenten auf ein Sofa: breitbeinig oder mit übereinandergeschlagenen Beinen? „Man schaut, wie der es macht. Macht es nach. Das Wichtige ist: hinkucken. Man muss achtsam sein, bescheiden, darf sich nicht aufdrängen, nicht laut sein, der Deutsche ist ja sehr laut. Kommt ganz schlecht an. Man muss sich selbstbewusst zurücknehmen.“ Auch Empathie ist kein Zweck an sich; sie wird benötigt, um Pläne umzusetzen und Ziele zu erreichen, wie Werner Müller verdeutlicht: „Wir hatten jedenfalls einen minutiösen Plan, den wir immer wieder durchspielten. Sie müssen sich in die Beweggründe und die Gefühlswelt der anderen hineinversetzen. Insofern müssen sie als Manager hoch sensibel sein.“

Motivationsfaktor Ehrgeiz

„Demut“ oder mit ihr verbundene Tugenden werden also durchaus von Top-Managern abverlangt. Sie werden allerdings in Kauf genommen, ertragen oder gezielt als Mittel eingesetzt und dürften kaum die primäre Motivation sein. Primärer Antriebsfaktor bei Managern dürfte vor allem der Ehrgeiz sein, wie in den meisten Interviews eher zwischen den Zeilen zu lesen ist. René Obermann wird schon relativ deutlich: „Ich wollte schon immer gerne etwas Besonderes auf die Beine stellen, was erreichen. Sie können das ‚Ehrgeiz‘ nennen. Vielleicht gibt es auch ein schöneres Wort dafür. Ambition. Die hätte man immer gerne, es ist vermutlich doch einfach Ehrgeiz. Ist ja auch okay.“ Ganz klar werden die Motive beim Investmentbanker Alexander Dibelius: „Ich will etwas verändern … im Großen … Was heißt groß? Ich bin sicherlich ehrgeizig. Als ich das Angebot von Goldman Sachs bekam, spielten bei meiner Entscheidung, wie bei allen meinen Berufsentscheidungen, mehrere Aspekte eine Rolle. Erstens: Ich wollte immer einer exzeptionellen Organisation angehören, das gebe ich zu … einer Elite … nein, ich meine es wörtlich: exzeptionell, außergewöhnlich. Ich wollte an exzeptionellen Aufgaben arbeiten und mit außergewöhnlichen Menschen zu tun haben, von denen ich lernen kann. Man könnte jetzt sagen: Da hättest du auch zur katholischen Kirche gehen können. Die Missionierung der Welt ist eine exzeptionelle Aufgabe, und der Papst ist sicher eine außergewöhnliche Person. Doch abgesehen davon, dass ich nicht katholisch bin, hätte das wohl nicht meinem Naturell entsprochen, da diese Zielsetzung doch sehr abstrakt erscheint und ich zu sehr Pragmatiker bin. Mir geht es in erster Linie um folgende Fragestellungen: Kann ich mich fachlich weiterentwickeln? Liegt mir der Lebens- und Arbeitsstil, den der Job erfordert: beispielsweise die transaktionsbezogene Projekt- und Teamarbeit oder auch die Geschwindigkeit der Ereignisse im Investmentbanking? Und als Letztes natürlich auch: Gelingt es mir, in dem Beruf einen ökonomischen Mehrwert zu erzielen? Sie wollten Geld verdienen. Ja, das gebe ich zu.“

Auch wenn René Obermann und Alexander Dibelius offen zugeben, dass sie ehrgeizig sind, spürt man auch bei ihnen das Unbehagen mit diesem Persönlichkeitszug. Ehrgeiz ist nicht sympathisch. Und er ist sicherlich überhaupt nicht mit Demut zu vereinbaren, sondern steht als „Eigenwille“ im Gegensatz zum Willen Gottes: „Den Eigenwillen zu tun, verwehrt uns die Schrift, wenn sie sagt: ‚Von deinem Willen wende dich ab!‘ Dass aber Gottes Wille in uns geschehe, darum bitten wir ihn im Gebet. Mit Recht werden wir also belehrt, nicht unseren Willen zu tun, sondern zu beachten, was die Schrift sagt: ‚Es gibt Wege, die den Menschen richtig scheinen, die aber am Ende in die Tiefe der Hölle hinabführen.‘ […] Der Mönch liebt nicht den eigenen Willen und hat deshalb keine Freude daran, sein Begehren zu erfüllen.“

Resilienz und Narzissmus

Dass der unsympathisch wirkende Ehrgeiz jedoch eine wichtige Funktion haben könnte, wird in einer Studie deutlich, die zugleich das Selbstbild, das Manager in den Interviews mit den Journalisten Barbara Nolte und Jan Heidtmann von sich zeichnen, durch die Außenperspektive bestätigt. Grundlage dieser Studie waren anonymisierte Profile der DAX-30-Vorstände, die von Probanden im Rahmen einer Online-Befragung auf der Basis des NEO-FFI-30-Fragebogens eingeschätzt wurden. Diesem Fragebogen liegt das Big-Five-Persönlichkeitsmodell mit den Eigenschaften Neurotizismus, Offenheit, Extraversion, Anpassungsfähigkeit und Gewissenhaftigkeit zugrunde.

Die Befragung kam zu dem Ergebnis, dass die Manager über eine spezifische Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften verfügen: geringe Ausprägung an Neurotizismus (was hohe emotionale Belastbarkeit bedeutet), mittlere Ausstattung an Extraversion, Offenheit und Anpassungsfähigkeit, sehr stark ausgeprägte Gewissenhaftigkeit. Der Persönlichkeitstyp mit dieser Ausprägung wird als resilient bezeichnet. Dieser Persönlichkeitstyp wurde auch im Umgang der von den Journalisten interviewten Manager mit Kritik, Einsamkeit und Fremdbestimmung deutlich: Hier zeigen sie sich als extrem belastbar.

Es gibt jedoch auch noch eine zweite Interpretation dieses Befundes. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus und Anpassungsfähigkeit negativ und Extraversion und Gewissenhaftigkeit positiv mit einer narzisstisch veranlagten Persönlichkeit korrelieren. Weil Neurotizismus und Anpassungsfähigkeit bei den Managern schwach und Extraversion und Gewissenhaftigkeit stark ausgeprägt sind, kann man zu dem Schluss kommen, dass „die untersuchten Personen demnach in vier von fünf Dimensionen in der Tendenz mit dem Profil narzisstischer Personen übereinstimmen.“ In den Interviews mit den Journalisten zeigt sich die narzisstische Tendenz der Manager im Ehrgeiz. Ist das ein Problem? Die Verfasser der Studie weisen darauf hin, dass Narzissmus an sich nicht unbedingt gefährlich ist, sondern dass es eher auf die Ausprägung ankomme. Man könne davon ausgehen, „dass sich eine besonders niedrige Ausprägung narzisstischer Merkmale genauso negativ auf die Performance auswirkt wie eine besonders hohe Ausprägung und dass demnach eine mittelmäßige Ausprägung narzisstischer Eigenschaften zu gesteigertem Erfolg führt.“ Während ein Zuviel an Narzissmus oder Ehrgeiz in der Tat destruktiv für Unternehmen wirken kann, kann ein Zuwenig dazu führen, dass im Unternehmen nichts mehr voran geht. Das erinnert an die Tugendethik des Aristoteles, der in der Tugend immer die Mitte zwischen zwei Extremen sieht oder auch an das Werte quadrat Friedemann Schulz von Thuns. Es erinnert aber auch an die Mahnung der Benediktsregel an den Abt, in allem Maß zu halten (temperare), indem dieser „Zeugnisse maßvoller Unterscheidung, der Mutter aller Tugenden“ (testimonia discretionis matris virtutum) beherzige. Und maßvolle Unterscheidung ist auch bei der Demut angesagt, bei der es natürlich auch Übertreibungen und falsche Askese geben kann. Dass sich auch extreme Selbstverleugnung als hartnäckiger und destruktiver Eigensinn und damit als Narzissmus und Ehrgeiz entlarven kann, verdeutlicht Georg Holzherr in seinem Kommentar zur Benediktsregel mit folgender Geschichte: „Lupicinus sagte einem durch übermäßige Askese völlig entkräfteten und bewegungsunfähig gewordenen Mönch: ‚Komm, lieber Bruder, leg deinen starren Eigenwillen ab. Wenn du nicht gern gehorchen willst, so stoße dich wenigstens nicht an meinem Beispiel. Was du mich tun siehst, mußt du nachmachen, gewiß im Namen des Gehorsams, den keine Diskussion aufheben darf. So will es die Regel.‘ Abt Lupicinus († um 480) machte nun dem fast verhungerten Mönch, der sich bloß von Brosamen hatte nähren wollen, das Essen vor, brachte ihn von seinem tödlichen Eigenwillen ab und stellte ihn wieder auf die Beine.“

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