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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2021.4.167-173
Mira Sievers / Tobias Specker
Intertheologie: Jenseits von Gemeinsamkeiten und Unterschieden
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wittert der Damaszener Theologe und Rechtsgelehrte Ibn Taymiyya eine Chance für eine radikale Grenzziehung zwischen Christ:innen und Muslim:innen. Aufgrund politischer Spannungen hatten sich die mamlukischen Herrscher in Kairo entschlossen, das öffentliche christliche Leben deutlich restriktiver zu reglementieren, als es ihre Vorgänger taten: So wurden Kirchen geschlossen, deren Neubau untersagt und Renovierungen erschwert.1 Ibn Taymiyya verteidigte nicht nur diese Maßnahmen gegen Kritik von islamischer Seite, sondern nutzte die Gelegenheit, um mit allen religiösen Uneindeutigkeiten, Vermischungen und Verbindungen abzurechnen, die ihm schon lange ein Dorn im Auge waren: Um Gottes willen sollen die muslimischen Gläubigen alle Imitationen christlicher Praktiken – wie Prozessionen oder Fürbittgebete – unterlassen. Sie sollen nicht an christlichen Festtagen teilnehmen, die christlichen Gläubigen bei ihren Feierlichkeiten unterstützen oder gar freiwillig an christlichen Fasttagen mitfasten. Keinesfalls sollen die Gotteshäuser gemeinsam genutzt werden. Vielmehr sollen muslimische wie auch christliche und jüdische Gläubige öffentlich erkennbar sein an ihrer Kleidung, der Barttracht oder auch an ihrer Sprache. Für den strengen Rechtsgelehrten wird selbst die Datumsfindung zum Distinktionsmerkmal: Muslimische Gläubige sollen auf keinen Fall „christliche“ Kalendermethoden zur Bestimmung ihrer Festtage nutzen, sondern die islamische Mondsichtung. Und natürlich geht es nicht nur um eine radikale Unterscheidung, sondern auch um die Frage der Vorherrschaft, die immer auch eine Frage der Sichtbarkeit ist. So will Ibn Taymiyya, dass christliche und jüdische Gläubige aus der Öffentlichkeit verschwinden: Ihre Kirchen sollen zurückgebaut, ihre Präsenz in der Armee oder in leitenden gesellschaftlichen Positionen verhindert und ihre rechtliche Stellung eingeschränkt werden. Will man es auf einen Begriff bringen, so verkörpern die Rechtsgutachten Ibn Taymiyyas den Geist einer klaren und radikalen Separation: Nur durch die totale Trennung wird die Reinheit der islamischen Gemeinschaft gewahrt.2

Die Logik der Separation

Mit seiner radikalen Position ging Ibn Taymiyya gewiss weit über das von den Herrschern erwünschte Maß hinaus, die ein Interesse an einem möglichst friedlichen Zusammenleben ihrer Untertanen hatten, und richtete sich gegen die bestehende religiöse Praxis von Muslim:innen. Doch unabhängig davon, als wie repräsentativ Ibn Taymiyyas Äußerungen zu bewerten sind, zeigen sie in klarer Art und Weise, welcher Logik die von ihm geforderte Separation folgt: Die Religionen, hier Christentum, Judentum und Islam, sind getrennte Systeme, die ideell nichts miteinander zu tun haben, deshalb müssen alle gelebten Überschneidungen und Verflechtungen (auf-)gelöst werden. Zugleich kann alles, auch das unwichtigste Detail des Alltags, zum Identitätsmarker werden, anhand dessen die Eigenheit gegenüber der Andersheit des Anderen behauptet wird.3 Interessant sind nun zwei Aspekte in Ibn Taymiyyas Logik der Separation.

Zum einen ist die Logik der Separation nicht identisch mit einer Behauptung der Differenz, auch wenn sie mit starken Motiven des „othering“ arbeitet. So ist Ibn Taymiyya durchaus bewusst, dass die sogenannten „Gemeinschaften des Buches“ (ahl al-kitāb) der islamischen Religion verwandt und näher sind als zum Beispiel polytheistische Praktiken. Aber gerade deswegen ist jede Vermischung mit besonderem Misstrauen zu betrachten.4 Konsequent nimmt Ibn Taymiyya auch eine Situation der Konkurrenz an: Obwohl die Religionen unvergleichbar anders sind, müssen die anderen Religionen gegenüber dem Islam begrenzt und zurückgedrängt werden, damit die eigene nicht gefährdet wird. Die Logik der Separation folgt so der Logik der Selbstbehauptung: Ich kann nur stärker werden, wenn der oder die Andere schwächer wird. Es geht also nicht um Gemeinsamkeiten oder Unterschiede, sondern um Separation oder Beziehung. Letzteres ist auf jeden Fall zu vermeiden.

Interessant ist zum anderen, dass die Logik der Separation bei Ibn Taymiyya klar mit einer normativen theologischen Begründung verbunden ist: Die Lösung aller Beziehungen geschieht, um die Einheit Gottes zu wahren. Denn diese Einheit wird von Ibn Taymiyya als absolute Selbstgenügsamkeit, Autarkie und Souveränität verstanden. „He affirms the essential separateness“5, hält Tom Michel nüchtern fest und stellt heraus, dass Ibn Taymiyya sich insbesondere an den Gottesnamen al-Ṣamad anlehnt, der oftmals als Unveränderlichkeit und Selbstgenügsamkeit Gottes verstanden wurde.6

Nun macht gerade die empörte Verve, mit der Ibn Taymiyya gegen alle Formen der Vermischung vorgeht, deutlich, was ihm als gelebte Realität alles vor Augen stand. So kann man an vielen Orten auf ein äußerst verbundenes und verflochtenes christliches, islamisches und jüdisches Alltagsleben hinweisen. Dies lässt sich in etwa zeitgleich zu Ibn Taymiyya auf der Iberischen Halbinsel im Alltag von Frauen unterschiedlicher Religionen sehen. Während das Kochen in jüdischen, christlichen und muslimischen Familien insgesamt mehrheitlich als weibliche Aufgabe angesehen wurde, mussten je nach Religion unterschiedliche Vorschriften und Verbote beachtet werden. Für al-Andalus existieren relativ viele Berichte, die über die gegenseitige Unterstützung von Frauen in diesem Bereich berichten – sei es das Erhitzen von vorher zubereitetem Essen am Schabbat von Muslim:innen für einen jüdischen Haushalt oder das Verwenden von jenen Teilen geschlachteter Tiere, die in der Religion der Anderen verboten waren.7 Eine solche Praxis ist aber nicht nur alleine auf der Ebene des interreligiösen Zusammenlebens angesiedelt, sondern setzt auch Kenntnis von und Verständnis für andere theologische Vorstellungen voraus.

Ein konkreter Fall der Verflechtung religiöser Vorstellungen

Dementsprechend beschränken sich die Verflechtungen nicht auf den Alltagsbereich. Auch Vorstellungen und theologische Konzepte sind ineinander verwoben. An dieser Stelle sei ein Beispiel aus dem islamischen Recht genannt: Das für das sunnitische Erbrecht zentrale Konzept des „Resterben“ (ʿaṣaba). Nach dieser Regelung wird das Erbe zunächst entsprechend der im Koran genannten Quoten verteilt, bevor der übrige Teil an einen Resterben geht, der üblicherweise ein direkter männlicher Verwandter ist. Diese Regelung und auch der entsprechende arabische Begriff des ʿaṣaba gehen nicht auf den Koran zurück, obwohl dieser in Sure 4,11f. recht detailliert die Grundlagen des islamischen Erbrechts enthält. Stattdessen – so das Argument des libanesischen Islamwissenschaftlers Chibli Mallat – seien die Regelung und Bezeichnung des Resterben auf das Syrisch-Römische Rechtsbuch beziehungsweise dessen arabische Übersetzung zurückzuführen, das zeitgleich von einigen Christ:innen in den eroberten Gebieten verwendet wurde.8 Die in späteren Jahrhunderten immer weitere Verbreitung des Rechtsbuchs unter verschiedenen christlichen Glaubensgemeinschaften wie der armenischen, der koptischen und der assyrischen Kirche des Ostens lässt sich umgekehrt durch den Wunsch nach einem christlichen Pendant für das entstehende islamische Recht erklären.9 In diesem Beispiel beeinflusst ein unter Christ:innen zirkulierender Text die Formierung des islamischen Rechts, welches dann wiederum Konsequenzen für die Relevanz des Rechts im christlichen Kontext hat.

Auch hier geht es nicht einfach um Gemeinsamkeit und Differenz, wobei unterstellt werden könnte, dass die Gemeinsamkeit das harmonische Miteinander sichert, während die Differenz eben jenes gefährdet. So wie Ibn Taymiyya sich der Gemeinsamkeit durchaus bewusst ist und gerade diese ihn zu einer umso schärferen Separation motiviert, so ist der Wanderung und Übernahme juridischer Konzepte nicht unbedingt das Anliegen der Gemeinsamkeit zu unterstellen. Sehr wohl aber weisen sie auf verflochtene Konstellationen im Alltag wie in der Selbstdeutung hin. Analog zur Analyse der Logik der Separation wäre dementsprechend ebenfalls zu fragen: Was ist die Logik der Relation? Und welche normative theologische Begründung, welche Akzentsetzungen im theologischen Denken ist mit ihr verbunden?

Die Logik der Beziehung


Die Logik der Beziehung könnte man mit dem Begriff der Interkonnektivität verdeutlichen. Prominent ist dieser Begriff zur Charakterisierung der Verbundenheit des menschlichen mit dem nichtmenschlichen Leben in der päpstlichen Enzyklika Laudato si’ verwendet worden. Im Kern möchte er deutlich machen, dass menschliches Leben nicht erst nachträglich untereinander und mit außermenschlichem Leben in Beziehungen tritt, sondern selbst aus der Verbundenheit entsteht und sich nur in dieser weiter entfaltet. Doch bereits im ökologischen Kontext bezeichnet er nicht nur die Wahrnehmung, dass Mensch und Umwelt konstitutiv verflochten sind, und die moralische Aufgabe, diese Verbundenheit zu berücksichtigen und zu bewahren, sondern auch eine Konstellation von Glaubensüberzeugungen. 10 Interkonnektivität hat also auch eine kulturelle und ideelle Komponente.

In dieser Weise ist der Begriff der Interkonnektivität auch für den Dialog bedeutsam. Analog zum ökologischen Kontext wären die Religionen nicht als abgeschlossene Systeme zu betrachten, die erst in einem zweiten Schritt, wohlwollend oder kritisch, im Blick auf Gemeinsamkeiten oder Unterschiede, miteinander in Beziehung treten. Vielmehr ist die andere Religion bei der Konstituierung des Eigenen unmittelbar präsent, die Religionen sind grundlegend verflochten. Ausgehend von Laudato si’, so kann man formulieren, weitet der Begriff der Interkonnektivität die dialogische Begegnungsperspektive hin zu einer Verflechtungsperspektive aus. Diese dialogische Verflochtenheit ist nun mehr als ein soziales und kulturelles Faktum. Sie hat auch eine theologische Relevanz.

Die systematische Theologin Margit Eckholt, die sich in besonderer Weise darum bemüht, den interreligiösen Dialog und die Einsichten der interkulturellen Theologie zusammenzudenken, misst dieser dialogischen Verflochtenheit eine grundlegende theologische Bedeutung bei: In Anlehnung an den französischen Jesuiten und Kulturphilosophen Michel de Certeau spricht sie von einem Feld des „Zwischen“, das den zentralen Ort des theologischen Nachdenkens darbietet. Dieses Feld des „Zwischen“ ist eine Kontaktzone, in dem ein geteilter Alltag und zugleich konflikthafte Spannungen wie transformierende Konstellationen aufleuchten. Diese Kontaktzone gehört nicht einer religiösen Position, die der anderen großzügig einen vordefinierten Raum überlässt. Sie ist aber auch kein neutraler Raum: Das „Zwischen“ ist weder eine bloße Begegnungsfläche, in der geschlossene Systeme aufeinanderprallen, noch ein Handelsort, in dem die jeweiligen Wahrheitsansprüche ausgehandelt werden.11 Vielmehr ist es ein „lebendige[r] und spannungsreiche[r] Raum des Miteinanders, in dem sich immer wieder neue Praxisformen ausbilden, in denen Welt gestaltet wird“,12 und in dem Religionen zu einem „unaufhörlichen Gespräch“13 verflochten sind. Theologisch bedeutsam ist dieser Raum nicht nur in einem deskriptiven Sinne, indem deutlich wird, wie sich Religionen in diesen Kontaktzonen konstituieren und verändern. Für Eckholt ist dieses „Zwischen“ der eigentliche Ort Gottes. Denn dieser, so zitiert sie de Certeau, ist wesentlich der „Ganz Andere“, der sich jeder Feststellung entzieht und als „transzendentale (…) Größe“ das „Prinzip einer unablässigen Überschreitung“14 begründet.

Die Aufgabe der Intertheologie

Der Einsicht, dass dieses „Zwischen“ eine eigene theologische Dignität besitzt und kein Übergangsstadium zu einer klaren und identitätsstiftenden Systembildung darstellt, widmet sich auch ein geplantes Kooperationsprojekt zwischen jüdischer, islamischer und christlicher Theologie in Berlin und Frankfurt/M. Zur Reflexion der dialogischen Verflochtenheit hat es sich auf Anregung von Daniel Krochmalnik den Titel „Intertheologie“ gegeben. Intertheologie bedeutet, Theologie – im Sinne eines reflexiven Nachdenkens über den eigenen Glauben – als eine gemeinsame Errungenschaft von Judentum, Christentum und Islam zu sehen. Zwar wird oft betont, dass der Begriff der Theologie nicht zu schnell auf das Judentum und den Islam übertragen werden dürfe. Und tatsächlich gibt es durchaus Unterschiede in der Zusammenstellung und Gewichtung der beteiligten Disziplinen, die die Theologie ausmachen. Zweifellos steht zum Beispiel die Auslegung des Rechts in Judentum und Islam stärker als im Christentum im Mittelpunkt. So werden in der Jurisprudenz Fragen behandelt, die im christlichen Kontext Teil der systematischen Theologie sind: Fragen der Texthermeneutik und der sprachphilosophischen Voraussetzungen zum Beispiel. Dennoch lässt sich für ganz verschiedene Zeiten und Räume zeigen, dass Vertreter:innen der anderen Traditionen als Stimmen zu einem geteilten Anliegen ernst genommen wurden, die die eigenen Positionierungen herausfordern und einer Antwort bedürfen. Hierin kann die Grundlage für eine wechselseitige Sprachfähigkeit gesehen werden.

Im Projekt der Intertheologie sind dabei stets mehrere Ebenen zu untersuchen: In konkreten Einzeluntersuchungen werden anschauliche Beispiele der Verflechtungen nachgezeichnet, um zu zeigen, wie der und die religiöse Andere stets dort mit präsent ist, wo das eigene Selbstverständnis bedacht und ausformuliert wird. Systematisch bedeutsam werden diese Untersuchungen jedoch dadurch, dass diesen Verflechtungen auch eine reflexive und normative theologische Bedeutung zugesprochen wird. Hierzu gilt es, zunächst allgemeiner auf die Zwischenräume zu schauen, in denen die Verflechtungen in besonderer Weise geschehen. Zu denken wäre an die Rolle der Musik in interreligiösen Gebeten, an geteilte religiöse Räume oder an institutionalisierte menschliche Beziehungen. Vor allem aber versucht die Intertheologie in systematischer Hinsicht zu verstehen, wie und in welchen Begriffen die Verflechtungen reflektiert wurden und werden können. Zumindest implizit, so die grundlegende Annahme, ist das „Inter“, das „Zwischen“ den Religionen, ein eigenes Thema: Zu denken wäre zum Beispiel an die implizite Argumentation durch Genealogien (Abraham, Hagar, Ismail), an die Theologie des Bundes, die ausgeweitet wird, oder an die Logostheologie, auf die als geteilter Horizont rekurriert wird.

Im Zueinander der theologiegeschichtlichen und der systematischen Perspektiven entsteht nun schließlich ein noch komplexeres Gewebe, weil symmetrische und asymmetrische Zuordnungen ineinander verschränkt werden. Symmetrisch sind die drei Religionen miteinander verbunden, da sie im jeweiligen kulturellen und historischen Horizont aufeinander bezogen sind und durch ihn konstitutiv geprägt werden. So hat Guy Stroumsa ausgearbeitet, dass die religiösen Veränderungen („Mutationen“) der Spätantike nicht nur die Konstitutionsbedingungen des Islams darstellen, sondern auch das Christentum und das Judentum tiefgreifend neu formen.15 Auch wenn die drei Religionen nicht gleichzeitig entstanden sind, so findet ihre Verflechtung im gemeinsamen spätantiken Horizont statt. Ähnliches könnte man möglicherweise auch für das 19. Jahrhundert mit seinen spezifischen Charakteristika von Modernisierung und Reform – und zwar sowohl in liberaler Bejahung als auch in neo-orthodoxer Abwehr – für die jeweiligen Formen und Beziehungen von Christentum, Judentum und Islam zeigen. Zugleich sind die Beziehungen der Religionen in systematischer Hinsicht gerade in ihrer Verflechtung bleibend asymmetrisch: Aus christlicher Perspektive ist die Beziehung zum Judentum anders gewichtet als die zum Islam. Eine innerislamische Religionstheologie hingegen wird diese Gewichtung so nicht spiegelbildlich übernehmen, von der eigenständigen jüdischen Beziehung zu den beiden anderen abrahamischen Religionen ganz zu schweigen. In systematischer Hinsicht sind die Beziehungen gerade dort, wo sie sich normativ ineinander verflechten, nicht einfach reversibel, vor- und rückwärts auf die gleiche Weise zu lesen. Es gilt, was Bernhard Waldenfels im Blick auf die kulturelle Beziehung zwischen Japan und Europa gesagt hat: „Eine, sagen wir europäische Ethnologie der japanischen Kultur und eine japanische Ethnologie der europäischen Kultur kommen niemals zur Deckung, und dies nicht etwa deshalb, weil das Europäische oder das Japanische völlig einzigartig wären, sondern weil das Fremde hier und dort nicht dasselbe ist.“16 Hier kommt das Bild eines Netzwerkes oder Gewebes an seine Grenze, denn die Fäden und Verbindungen sind gerade dort, wo sie als konstitutiv erachtet werden, nicht einfachhin in beide Richtungen gleich aufnehmbar.

Die Aufgabe einer Intertheologie ist somit höchst herausfordernd, verspricht aber gerade dort, wo sie gemeinsam aus den drei Religionen angegangen wird, eine echte Vertiefung des interreligiösen Miteinanders. Denn bei aller Unterschiedlichkeit der Beziehungen kann keine der Religionen aus dem Beziehungsgeflecht entfernt werden, ohne dass die anderen konstitutiv Schaden nehmen. Noch einmal kann auf Waldenfels verwiesen werden, dessen Diagnose hoffnungsvoll stimmen mag: „Wo neuartige Gedanken entstehen, gehören sie weder mir noch dem Anderen. Sie entstehen zwischen uns. Ohne dieses Zwischen gäbe es keine Intersubjektivität und Inter-kulturalität, die ihren Namen verdiente.“17

Anmerkungen

01 Vgl. Th.F. Michel, The Theology of Ibn Taymiyya and his Critique of Christianity, in: Ibn Taymiyya, A Muslim Theologian’s Response to Christianity. Ibn Taymiyya’s al-Jawab al-Sahih, hrsg. und übers. von Th.F. Michel, New York 1984, 1–135, hier 78. Jetzt ausführlich mit weiteren Quellen zum gemeinsamen Feiern von Festen durch Christ:innen und Muslim:innen und speziell der Position Ibn Taymiyyas in diesem Zusammenhang siehe A. Cuffel, Legal but not Licit. Customary Foodways as Banned Markers of Religious Identity between Muslims and non-Muslims in the Medieval Mediterranean, in: D. Weltecke (Hrsg.), Essen und Fasten. Interreligiöse Abgrenzung, Konkurrenz und Austauschprozesse, Köln 2017, 111–127.
02 „Islam can only be kept pure by separating itself from contact with unbelief“, Michel, Theology of Ibn Taymiyya, a.a.O., 82.
03 Zu den Identitätsmarkern im Alltag vgl. Cuffel, Legal but not Licit, a.a.O., 125–127.
04 „The feasts and worship undertaken by the religions of the two People of the book are more strongly forbidden than a [pagan] feast undertaken for amusement and play. (…) Jihad against the People of the Book is superior to jihad against the idolators“, Michel, Theology of Ibn Taymiyya, a.a.O., 85.
05 Ebd., 1.
06 Vgl. ebd., 3f.
07 Vgl. M. J. Fuente, Christian, Muslim and Jewish Women in Late Medieval Iberia, in: Medieval Encounters 15 (2009), 319–333, hier 328.
08 Vgl. Ch. Mallat, Introduction to Middle Eastern Law, Oxford 2007, 24–26.
09 Vgl. P. Crone, Roman, Provincial and Islamic Law. The Origins of the Islamic Patronate, Cambridge/GB 1987, 119.
10 Vgl. V.J. Miller, Integral Ecology. Francis’s spiritual and moral vision of interconnectedness, in: ders., The Theological and Ecological Vision of Laudato Si’. Everything is Connected, London 2017, 11–28, hier 11.
11 Vgl. M. Eckholt, Spirituelle Praktiken und religiöse Narrative. Differenzen gestalten im christlich-muslimischen Dialog im lebendigen Raum des „Zwischen“, in: dies./H. El Mallouki/G. Etzelmüller (Hrsg.), Religiöse Differenzen gestalten. Hermeneutische Grundlagen des christlich-muslimischen Gesprächs, Freiburg/Br. 2020, 29–60, hier 58.
12 Ebd., 48.
13 Ebd., 47.
14 Ebd., 48.
15 Vgl. G. G. Stroumsa, Das Ende des Opferkults. Die religiösen Mutationen der Spätantike, Berlin 2011.
16 B. Waldenfels, Topographie des Fremden, Frankfurt/M. 1997, 100.
17 Ebd., 53.

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